Archiv 2014: Und endlich an die Leser denken

Medien

Medienmarken wirken in diesen Tagen sehr orientierungslos. Und ihre Versuche, sich zu retten, wirken bisweilen panisch. Ihren Print-Titeln sterben die Leser weg, ihre Online-Marken sehen in der Konkurrenz zu den neuen jungen Youtube-Publizisten und Story-Portalen nicht gut aus und suchen ihr Heil immer häufiger im Kopieren der Buzzfeed- und Upworthy-Formate. Die Probleme sind hausgemacht, viele Chancen wurden nicht genutzt, das Internet nicht als Werkzeug, sondern zunächst gar nicht, dann als Konkurrenz wahrgenommen.
Aber ist das Internet wirklich an der Krise schuld? Ich denke: Die Glaubwürdigkeit der Medien war schon vor dem Internet in Frage gestellt. Und mit dem Internet haben die Leser sich emanzipiert. Nun stehen wir da und fragen uns: Was erwarten wir denn eigentlich tatsächlich vom Journalismus?

Als der damalige Focus-Chefredakteur Helmut Markwort in den 90ern in seinem Werbespot hinter sein „Fakten, Fakten, Fakten“ ein markantes „Und immer an die Leser denken!“ schob, hinterließ er mich damit ein wenig ratlos. An wen denn auch sonst, fragte ich mich. Wieso musste er das so betonen? Zeitung wird doch für Leser gemacht. Geschichten werden für Menschen erzählt. Die Aufgabe von Journalisten ist es doch, Wahrheit und Fakten für die Leser, die Leute, das Volk zu recherchieren und für alle verständlich und informativ aufzubereiten.

Zu der Zeit hatte ich mich gerade nach knapp fünf Jahren Freelancing und Volontariat aus dem Journalismus zurück gezogen und war zum Theater gewechselt, weil ich mich erst mal sammeln musste. Ich war mit 19 mehr aus Versehen bei der BILD gelandet, und auch meine Zeit beim PRINZ Stadtmagazin hatte mich journalistisch eher verunsichert

Schon bei BILD, dann noch deutlicher beim PRINZ schwante mir damals so langsam, dass es in Verlagen nicht immer nur um Journalismus geht. Wie oft hatte ich ein Ansinnen von Redakteuren an den Interessen von Anzeigenabteilungen scheitern sehen. Wie oft die wechselseitige Ohne-uns-seid-Ihr-nix-Debatte verfolgt.

Immer irritierte sie mich: Natürlich ging es doch wohl darum, die Verbreitung von journalistischen Inhalten zu finanzieren. Und nicht darum, um die Anzeigenplätze von Werbekunden einen „genehmen“ Rahmen zu stricken. Dass solche Abhängigkeiten eine Rolle spielten, erzürnte mein Gemüt: Sollte Journalismus nicht unabhängig sein? Vor allem im Sommer, wenn Zeitungen und Magazine dünn waren weil im Sommerloch die Anzeigen fehlten, spürte ich aber selbst schmerzlich den Platzverlust.

Journalismus mit Werbung zu finanzieren fühlt sich falsch an

Schon damals dachte ich, dass es doch eigentlich andere Wege der Finanzierung geben müsste. Es war doch wichtig für eine Demokratie kritischen und unabhängigen Journalismus erleben zu dürfen. Die Menschen hatten doch ein Recht auf Aufklärung und Wahrheit. Schon damals dachte ich an Stiftungen, Fonds oder gar sowas wie eine Pressesteuer. Wenn ich mit jemandem darüber redete, wurde ich ausgelacht: „Den ganzen Apparat hier kann man damit doch nicht finanzieren.“

Zeitsprung: Wir schreiben das Jahr 2014. Inzwischen habe ich Familie gegründet, wieder gefreelancet und fünf Jahre bei stern.de gearbeitet. Als ich dort 2007 enthusiastisch angetreten bin, um die angeschlossene Fotocommunity redaktionell einzubinden, war gerade Online-Aufbruchstimmung: Es wurden 35 neue Mitarbeiter eingestellt und sich (wieder einmal) Qualitätsjournalismus auf die Fahne geschrieben. Irritierend war nur: Die Print-Redaktion redete gar nicht mit der Online-Redaktion. In den wenigen Gelegenheiten, in denen sich die Chefredakteure des Magazins stern aus ihren Büros im 3. Stock zu den Onliner Kollegen im Großraumbüro im Erdgeschoss herab ließen, wurde deutlich, dass das Magazin mit diesen Internet-Leuten nicht viel zu tun haben wollte.

Drei Redaktionen, eine Marke, keine Kommunikation

Wie hatte es dazu kommen können? Zwei völlig unterschiedliche Redaktionen, die nicht miteinander kommunizierten unter der selben Marke? Vertraten sie nicht die gleichen Interessen? Sondern verstanden sich als Konkurrenz im eigenen Haus?

Für mich war der stern immer eine Marke gewesen. Als Medienschaffende wusste ich natürlich etwas mehr über Hintergründe, und wenn jemand Medienfernes davon sprach, dass Günther Jauch, seinerzeit Produzent und Moderator von sternTV, der Chefredakteur vom stern sei, konnte ich auch vor meinem Einstieg dort schon klugscheissen, dass sternTV in Köln produziert wird und der stern in Hamburg, und dass es dort zwei Chefredakteure gab, ihrerzeit Thomas Osterkorn und Andreas Petzold.

Dass sternTV aber tatsächlich gar nichts mit dem stern zu tun hatte, und dass alles, was sternTV mit stern.de zu tun hatte beim Hosting der Online-Präsenz endete, und dass die Redaktionen stern Magazin und stern online nichts gemeinsam hatten und sich nicht natürlich ergänzten, war auch für mich überraschend. Es gab nur einen sogenannten „Verbindungsredakteur“ der bei den Online-Konferenzen letztlich nur mitteilte, woran das Magazin gerade arbeitete. Umgekehrt interessierten sich die Print-Kollegen so gut wie nicht dafür, was Online gerade passierte.

Ein Phänomen das, wie ich heute weiß, auch den Redaktionen von SPIEGEL und auch ZEIT und Süddeutsche und vielen anderen nicht fremd ist.

Die Qualitätsschere zwischen Print und Online: Ein Image-GAU

Und alle ereilte das gleiche Schicksal: Die Online-Marken konnten die von den Print-Marken gewohnte Qualität nicht liefern. Nicht nur, weil sich das Neuland erst erschlossen werden musste, und die Publikationsprozesse vollkommen unterschiedlich sind. Statt die Online-Redaktionen als Werkzeug, Verlängerung und Verbindung zum Leser zu sehen, als Rechercheteam und Teaser-Bühne für das Heft, und als Entwicklungsredaktion für ein späteres ePaper, wurden die Ressorts und Rubriken der Magazine online abgebildet und auf Teufel komm raus mit Inhalten gefüllt, die den Ansprüchen der Print-Marken wegen des großen Aktualitätsdrucks und den kleinen Redaktionen gar nicht gerecht werden konnten.

Die aber – irgendwie – einen Rahmen für Anzeigenkunden boten. Anzeigenkunden, die Online früher als die traditionellen Publikationen als Chance für ihre Darstellung sahen. Und die über die günstigen Banner-Preise frohlockten und immer mehr von Print-Werbung abrückten.

Dotcom Blase und Wirtschaftskrisen taten ihr übriges dazu: Budgets wurden gekürzt, frisch aufgebaute Redaktionen wieder klein geschrumpft. Die Qualitätsschere klaffte immer weiter auseinander, was für Frust auf beiden Seiten sorgte: Print-Redakteure schimpften über die Unmengen rausgeschmissenen Geldes für dieses „Online-Experiment“ und wurden langsam gewahr, dass die mangelnde journalistische Qualität der Online-Marken sich auch auf ihre heiligen Print-Marken niederschlug.

Online-Redakteure, unterbezahlt und überbeansprucht und inzwischen zu Agenturtextschubsern degradiert, resignierten unter den ständigen Neuerfindungen, der sich ständig verändernden redaktionellen Verhältnisse und der ständigen Kollegenschelte. Zudem sahen sie sich gezwungen, immer mehr um Werbeplätze herum zu konzeptionieren: Bis zur vollkommenen Unkenntlichkeit der eigentlichen Inhalte. User dankten mit Ad-Blockern und Abwanderung. Ein Teufelskreis.

Das vernachlässigte Kind mit Lese-Rechtschreib-Schwäche

Die Binnensicht auf die Redaktionen war immer eine ganz andere, als die Sicht von außen. Intern wurde sich klar voneinander distanziert. Ein Vorgang, der Lesern und Usern weder bekannt, noch für diese überhaupt nachvollziehbar ist. Von außen ist es immer eine Marke geblieben, und Leser und User machen keinen Unterschied zwischen den Redaktionen! Warum also sollten jüngere Leser, die als Zielgruppe für die aussterbenden stern-Abonnenten erschlossen werden sollen, Interesse am Heft (oder dem ePaper) entwickeln, wenn die Online-Qualität umständebedingt so lala ist? Eine neue Typo und ein bisschen modernes Layout ist ihnen völlig latte.

Die Online-Redaktionen entwickelten sich wie vernachlässigte Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwäche: Die Mutterschiffe schenkten ihnen wenig Beachtung, kümmerten sich nicht darum, dass sie angeleitet und im Sinne der eigenen Marke aufgebaut und begleitet wurden, so dass sie den Qualitätsanspruch erfüllen konnten. Und für die unausweichlichen Flüchtigkeitsfehler – welche Online-Redaktion kann sich ein Lektorat leisten, das geht schon zeitlich nicht – ernteten die Kinder auch noch Verachtung der Kollegen aus dem Mutterschiff.

Umstände, unter denen keine Marke strahlen kann und die jeden Stern verglühen lässt.

Die Frage, die sich mir immer wieder in den letzten Jahren gestellt hat: Wofür brauchen wir überhaupt solche umfangreichen, kostenlosen, dafür mit Werbebannern überzogenen, hektisch zusammen geschobenen Nachrichtenseiten? Wollen wir, wenn es um die Wahrheit geht, Oberflächlichkeit und Nachlässigkeit? Brauchen wir die Millionste Klickfotostrecke mit den lustigsten Urlaubsfotos direkt neben der Meldung, dass bei einem Autokonzern wieder 500 Mitarbeiter gehen müssen?
Wollen wir überhaupt irgendeine Form von Unterhaltung in den Nachrichten?

Brauchen wir Leser stern.de, SPIEGEL.de, ZEIT.de und sueddeutsche.de überhaupt in der jetzigen Form?

Möglicherweise eine ketzerische Frage und ich gebe eine ebensolche Antwort: ICH brauche sie SO nicht.

Ich brauche

  1. Tagsüber knappe, präzise, aktuelle Fakten zum Tagesgeschehen im Servicebereich*

    Was ich im Laufe des Tages brauche sind kurze, präzise, aktuelle Informationen über Themen, die mich angehen, die mich interessieren und die sonst noch in der Welt passieren. Nicht mehr als 300 Wörter pro Text. Nicht mehr als fünf Fotos in der Fotostrecke. Kein Video länger als 2:30 Minuten.
    Ich konsumiere auf dem Smartphone, zwischendurch, in der Bahn, auf Veranstaltungen, zwischen Meetings, während der Arbeitszeit. Lange Texte, lange Fotostrecken, lange Videos halten mich auf, und selten ist der heutige Informationsgehalt längerer Formate auf Online-Publikationen heute höher, als bei den Kurzinformationen.


  2. Eine abendliche Zusammenfassung der Tagesereignisse mit neuen Erkenntnissen im Servicebereich*

    Die darf gern pro Nachricht je nach Format etwas länger ausfallen. Aber immer noch übersichtlich und immer noch nur reine Fakten.
    Hier bereits mit Ankündigung, was mich am Freitag Abend im ePaper erwarten wird: Wo wird gerade tiefer recherchiert, wer ist gerade zum Thema unterwegs, welche neuen Erkenntnisse erhofft man sich.


  3. Feste Veröffentlichungszeiten im Premium-Bereich**

    Ich liebe den sonntäglichen Tatort, wenn ich dann zur gleichen Zeit gemeinsam mit tausenden anderen auf der Couch sitze und über den Mörder spekuliere. Da ich unter der Woche selten dazu komme, längere Informationen aufzunehmen, weil die Zeit fehlt und ich eh nicht mehr aufnahmefähig bin, käme mir auch bei Nachrichtenmagazinen ein fester und verlässlicher Veröffentlichungstermin für eine wirklich fundierte Berichterstattung mit Hintergründen, Fotostrecken, Videos und O-Tönen sehr entgegen. Und ich könnte mich gleich mit den anderen News-Junkies per Twitter darüber austauschen.


  4. Update-Pushbenachrichtigungen im Premium-Bereich**

    Nur zwei Stunden nach der Veröffentlichung im Premiumbereich** hat sich die Lage drastisch verändert? Dann wünsche ich mir ein kurzes erkennbares Update im Premium-Bereich**, weiterführende Links zu Kurz-Informationen im Servicebereich* und eine Pushbenachrichtigung darüber.


  5. Logische und chronologische Themen-Übersichten Premium-Bereich**

    Es gibt etwas Neues über die Hebammen-Proteste? Es gibt etwas Neues über die Lage in der Ukraine? Es gibt nach Jahrzehnten neue Erkenntnisse über die RAF? Ich möchte diese Themen abonnieren können und bei Neuigkeiten dazu per Pushbenachrichtigung informiert werden.
    Und ich möchte mich zu jedem Thema anhand eines Zeitstrahls auch als Späteinsteiger in das Thema informieren können. Eine aktuell gehaltene Zusammenfassung „Was bisher geschah“ hilft mir dabei, den Einstieg zu finden. Überholte Erkenntnisse in älteren Artikeln sind markiert mit den Hinweisen auf die Artikel mit den neuen Erkenntnissen.


  6. Die Nachrichten-Weltkarte von allen Medien: Redakteure als Kuratoren und Netzweber

    Wenn in China darüber berichtet wurde, dass ein Sack Reis umgefallen ist, der dabei einen Schmetterling aufschreckt hat, und dieser zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort mit seinen Flügeln geschlagen hat, dann möchte ich nachvollziehen können, welche globalen Auswirkungen das hat – und einen Redakteur haben, der mir nach bestem Wissen und Gewissen eine Verknüpfung zur Berichterstattung über den nachfolgenden Tornado in Texas erstellt.

    Wenn McDonalds zulässt, dass seine verarbeiteten Hühnchen mit Gengetreide gefüttert wird, möchte ich Links zu allen Artikeln, die mir erzählen, wo, wie und von wem Genmais angebaut wird, welche heutigen Erkenntnisse es darüber gibt, und welche Risiken diese Maßnahme birgt – weltweit, aus allen ernstzunehmenden Publikationen.

    Wenn ich aus der Supermarkttheke dick mariniertes Grillfleisch für 1,20€/kg kaufe, möchte ich in Artikeln über das Grillen auch auf Artikel hingewiesen werden, die mir etwas über die Arbeitsbedingungen der Abpacker, die Lebens- und Tötungsbedingungen der Tiere und die Gesundheitsrisiken für mich hingewiesen werden – unabhängig von der Medienmarke.

    Und wenn Gesetze verabschiedet werden sollen, irgendwann nachts um zwei im Bundestag, während eine WM läuft, dann möchte ich schon vorher per Pushbenachrichtigung darauf hingewiesen werden und darüber in allen relevanten Medien darüber lesen können, was dieses Gesetz für mein Land, meine Stadt und meine Familie bedeutet. Und deshalb sowohl Überregionale als auch Lokale Artikel dazu finden können, weil Redakteure diese für mich miteinander verknüpft haben.

    Ich möchte auf diese Weise verstehen können, wie wir alle voneinander abhängig sind, und dass nichts was ein einzelner tut irrelevant für andere ist.


  7. Keine Werbung im NachrichtenbereichAlles was mit Nachrichten zu tun hat, sollte vollständig werbefrei sein.


    Finanzierung über Bezahlung durch die User und Werbung bei Unterhaltungsthemen.

    Wie bei einem Heft-Abo könnten Medienmarken und Bundles mit anderen Medienmarken abonniert werden. Als jemand, der sich dann auf die Medienmarke stern verlässt kann ich mich für einen Preis für alle digitalen Kanäle, aber auch für die Nostalgiker für ein Bundle mit dem Magazin entscheiden. Wenn ich einmal bezahlt habe, kann ich die Inhalte von meinem Smartphone, meinem Tablet, meinem Laptop und was immer es dann noch für digitale Kanäle geben wird, abrufen (limitierte Gerätezahl). So kann Opa auf seinem Tablett ebenso mitlesen, wie der Gatte auf dem Smartphone und man selbst auf dem Rechner.

    Von Schwester-Marken bekomme ich regelmäßig Angebote, wie von Gesund Leben, GEO Reise Specials oder ART, die ich dazu kaufen kann.

    Bei Yellow-Press-Themen, anderen Unterhaltungsthemen und soften Servicethemen wie die tollsten Vegan-Grillrezepte ohne nennenswerten Nachrichtengehalt kann weiterhin Werbung geschaltet werden, sofern die eigentlichen Inhalte erkennbar bleiben. Da tut sie niemandem weh und dort ist sie zudem von Anzeigenkunden ohnehin bevorzugt platziert. Kein Baumarkt preist dann mehr Kettensägen neben dem Artikel über die zerstückelte Leiche an, und auch EON läuft nicht mehr Gefahr mit seinem Gas-Angebot neben einer Auschwitz-Artikel zu landen.

    Zusätzlich könnten Töpfe (Fonds, Stiftungen) für den Erhalt des Qualitätsjournalismus bereit gestellt werden, so er hält, was er verspricht: Neutrale Fakten die einer Prüfung jederzeit stand halten, und auf die wir uns verlassen können.

    Ich brauche

    die Wahrheit. Überblick. Und Verlässlichkeit.

Ich NICHT brauche

Was ich nicht brauche

Upworthy-Buzzfeed-Klone, noch mehr Chaos, noch mehr nicht-verifizierte Informationen die als Nachricht verkauft werden, noch mehr Zeit damit verbringen zu müssen, Nachrichten selbst nach möglichem Wahrheitsgehalt zu filtern.

* Servicebereich: Für alle offen und kostenlos, weil jeder ein Recht auf Information hat und hier das Eingangstor zum Premiumbereich steht.
** Premiumbereich: Bundels, die vom Leser individuell gegen Bezahlung zusammen gestellt werden können

Die Rechnung geht nicht auf?

Ich bin sicher, jemand wird sagen: Das ist eine Milchmädchenrechnung, das funktioniert nicht. Kann sein. Einen „Apparat“ wie einen Verlag mit Druckerei wird man so nicht finanziert bekommen. Wobei sich die nächste Frage hier stellt: Brauchen wir eigentlich noch Verlage für den Journalismus? Sind sie für unsere Zeit und unsere Belange nicht längst zu arthritisch und unbeweglich geworden?


Müssen wir in einer Zeit von sich immer schneller weiter entwickelnden, haptischen digitalen Devices bei so einem Konstrukt denn wirklich überhaupt noch über ein „Heft“ nachdenken?

Bei der WELT heisst das Prinzip seit der Einrichtung des neuen Newsrooms in Berlin „Online to Print.“


Ich würde es lieber Service* to Premium** nennen, denn die Kanäle sind mir egal, solange ich auf sie zugreifen kann, wenn ich das möchte.

Und natürlich bin ich bereit zu bezahlen, wenn der Journalismus endlich liefert, was ich von ihm erwarte: Wahrheit, Aufklärung, Überblick.

 Edit: Das Projekt Krautreporter, das seit Anfang Mai in den Starlöchern steht und Unterstützer sucht,  hat noch seine Macken. Geht aber von der Intention grundsätzlich in die richtige Richtung. 

2 Gedanken zu „Archiv 2014: Und endlich an die Leser denken“

  1. Der Journalist Ulf J. Froitzheim hatte im Ursprungsblog kommentiert:

    Bei allem, was ich meckern möchte: Die 52 Euro für ein Jahr leiste ich mir. Ich will, sehen, ob die Redaktion es schafft, das ans Licht zu befördern, was in ihr steckt. Die überbesetzte Chefredaktion steht ihr momentan wohl noch etwas im Weg.

    Ich kapiere zum Beispiel nicht, wie man die nette, aber hoffnungslos zeit- und aufhängerlose Lesegeschichte der hochgeschätzten Kollegin Winnemuth auf den Titel heben kann, wenn man gleichzeitig Walter Wüllenwebers Reißer über die “legalen Staatsfeinde” (The Big Four) im Blatt hat. Die Weltreise ist zwei Jahre her; nicht nur für Leser des SZ-Magazins und Wer-wird-Millionär-Zuschauer ist die Sache Altschnee. Es ist weder ein Zeichen von Souveränität noch ein motivierendes Signal für die Stammmannschaft, wenn der neue Chef seine Lieblingskolumnistin mitbringt und aufs Cover hebt.
    Die “Staatsfeinde” wiederum lesen sich wie ein spannendes Buchmanuskript, das von einem zu einer gewissen Brutalität neigenden Textchef auf Magazinformat gestutzt wurde. Man merkt, dass der Autor weit mehr recherchiert hat, und giert förmlich nach der Langfassung, die mit Links angereichert im Netz stehen könnte, gerne auch für einen Extra-Euro oder deren zwei. Die Präsentation dieser Story – auch im Inhalt ist sie wenig prominent aufgemacht – entspricht bei weitem nicht ihrer Relevanz. Das ist verschenkt.
    Ähnlich ging es mir mit der Titelstory: Einen der verheirateten Ex-Pfarrer, die mit Foto gezeigt werden, Thomas Multhaup, habe ich selbst schon als Trau- und Pseudo-Taufredner erlebt. Im Lauftext wird er gerade mal mit einem einzigen Satz zitiert, die BU ist sehr knapp. Man erfährt nicht, womit er heute wirklich seinen Lebensunterhalt verdient, nämlich Paaren, die mit dieser Kirche nichts mehr anfangen können, das Surrogat eines kirchlichen Trauungsrituals und einer Taufzeremonie (“Begrüßungsfest” fürs Baby) zu bescheren. Man würde gerne etwas über die Zerrissenheit eines eigentlich gläubigen Christen erfahren, der vom Glauben abgefallenen Menschen eine nette Predigt hält und dabei explizite Worte wie “Gott” und “Heiliger Geist” partout vermeiden muss. Ihm gelingen dabei zirkusreife rhetorische Gratwanderungen: Das unterschwellig noch vorhandene Spirituelle oder Metaphysische ist unaufdringlich genug für die Atheisten und vermittelt zugleich den religiöseren Gästen das Gefühl, doch nicht auf einer komplett gottlosen Veranstaltung gelandet zu sein. Kaum etwas zeigt plastischer als diese moderne Dienstleistung das Problem einer Kirche, die Mitglieder und Pfarrer gleichermaßen vertreibt. Das menschelt sehr, so etwas hätte Henri Nannen sich nicht entgehen lassen. Es hätte sich wirklich aufgedrängt, all diese Zölibatsgeschädigten jeweils mit einer Kurzvita vorzustellen: 20-Zeilen-Testimonials gegen den vatikanischen Starrsinn.

    Leider geht Wichmann ein Talent total ab, das ich mir von einem guten Chefredakteur wünschen würde: Er müsste nahbar sein, neugierig, offen und kommunikativ auch gegenüber Menschen, die unterhalb seines Hierarchie- bzw. Karrierestatus rangieren. Er ist jedoch ein sehr distanzierter Typ, dem man förmlich ansieht, wie unwohl er sich in Gesellschaft anderer Journalisten fühlt, die er nicht kennt, die aber womöglich einen Auftrag oder gar Job von ihm wollen. Zu diesem Eindruck eines Chefs, der keinen an sich ran lässt, passt, was ich hier lese: Elfenbeinturm, keine Interaktion in den sozialen Medien. Ja, Wichmann ist ein introvertierter Typ. Er wird Jörges im Fernsehen niemals Konkurrenz machen und ist damit Petzold ähnlich.

    Wenn sich Wichmann schon auf Henri Nannen beruft, sollte er versuchen, als Führungspersönlichkeit von dessen guten Seiten zu lernen. Nannen war zwar ein Patriarch, der durchaus mal Mitarbeiter zusammenfaltete, doch in seinen guten Jahren war er mitten im Geschehen, arbeitete mit seiner Mannschaft, trieb sie zu Höchstleistungen an. Man muss sich nur mit Menschen unterhalten, die ihn und sein Temperament noch erlebt haben, dann weiß man, was dem Neuen fehlt.“

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