Ich hab schon gebloggt, da hast Du noch Excel-Tabellen bei der Deutschen Bank rumgeschubst, lieber Robert!*

Digitalien|Menschen & Me

Ja, Du liest richtig. 2002 war das nämlich. Ich wusste nur noch nicht, dass es bloggen heißt und es bereits Software dafür gab. Das ganze hatte damit angefangen, dass ich 2001 gemeinsam mit meinen übers Land verstreuten Freundinnen schwanger wurde. Frag nicht, wie wir das hinbekommen haben. Es war ein Zufall, ehrlich.

Sonnenkinder-Logo
Mütterforum für Frauen, die 2002 ihre Kids bekommen haben

Um nicht jeder am Telefon das Gleiche erzählen zu müssen, gründete ich das Forum „Sonnenkinder 2002“ für Mütter, die ihre Kinder im Sommer 2002 bekommen sollten. Anfangs waren wir fünf. Irgendwann waren wir 50. Und lagen virtuell gemeinsam in den Wehen. Kein Schnack! Wir alle lasen die „Hebammensprechstunde“ von Ingeborg Stadelmann, stritten unter gesteigertem Hormoneinfluss über Vor- und Nachteile von Hausgeburten und Kaiserschnittchen, und wir alle drückten wie paralysiert stundenlang immer wieder auf Reload, wenn eine unserer Schwangeren die ersten Wehen vermeldet hatte – bis es sich als Fehlalarm rausstellte oder der Kindsvater das glückliche Ereignis vermeldete.

Geburtsberichte waren gefragte Lektüre

Weil wir damals schon ein äußerst kommunikatives und neugieriges Grüppchen waren, das täglich stundenlang und rege miteinander schrieb, war es fast selbstverständlich, dass nur wenige Tage, ja, manchmal sogar nur Stunden nach den mal mehr mal weniger glücklichen Ereignissen die Geburtsberichte der jungen Mütter reinflatterten. Und die saugten alle anderen natürlich auf, denn sie hatten 1000 Fragen: War es schlimm? Lief alles gut? Konnte sie zuhause bleiben oder ist sie doch ins Krankenhaus? Ist sie gerissen? Musste doch noch ein Kaiserschnitt gemacht werden? Wie hat der Mann sich angestellt? Und klappt das schon mit dem Stillen?

Die Geburtsberichte waren der Hit! Und es war schade, sie im geschlossenen, weil doch privaten Forum verkümmern zu lassen, denn auch Frauen außerhalb unserer Community suchten zur Vorbereitung auf die eigenen Geburtserlebnisse Erfahrungsberichte. Also baute ich mit Macromedia Dreamweaver eine richtige, damals noch statische News-Seite und stellte die Geburtsberichte nach Freigabe der Autorinnen dort öffentlich online. Dazu gesellten sich später Erfahrungsberichte rund ums Stillen (oder eben nicht), ums Tragen (oder eben nicht), ums selber Brei kochen (oder eben nicht), um die ersten Schritte, die besten Buggies, den ersten Sex nach der Geburt, ums Deko-Basteln zu den Feiertagen, ums Kochen und Backen, das übliche rund um Mami-Themen halt. Der Hit war ein Erfahrungsbericht einer Manager-Mami zu ultraleisen und ultraleichten Milchpumpen mit integriertem Kühlschrank, damit sie zwischen Aufsichtsratsitzungen und Meetings für die lütte Tochter das allergiker-adäquate Vollstillen ermöglichen konnte. Das (innere) Bild wie sie im Business-Kostüm mit der ultraleisen Milchpumpe auf der Damentoilette sitzt und sich abpumpt habe ich nie wieder aus dem Kopf bekommen. Und der Lady gilt bis heute mein größter Respekt für den Spagat zwischen Kind und Job.

Kommentieren mit Umwegen

Von den Artikeln aus verlinkt konnte man im öffentlichen Teil des Sonnenkinder-Forums Kontakt aufnehmen und so auch kommentieren.

Ja, ich weiß, das ist nicht direkt bloggen, weil man ja dann doch wieder ins Forum musste, wenn man kommentieren wollte, aber Blogs kannte ich noch nicht, und auch du trommeltest noch nicht für die neuen interaktiven Möglichkeiten des Self Publishings, lieber Robert, denn Du gingst selbst erst 2003 mit BASIC thinking an den Start.

Verpennt habe ich es allerdings, bei Dir und den anderen damals aufkommenden Tech-Bloggern Up to date zu bleiben, dann hätte ich mir ein bisschen Mühe mit der Technik erspart. Aber die ITler waren einfach eine ganz andere Bubble als die Mamis, und so sind wir erst 2005 umgestiegen auf Blogger.com, wo dann alle die schreiben wollten, etwas beitragen konnten, ohne dass ich etwas für sie einpflegen musste.

Da wir unter uns bleiben wollten und es auch keine Gewinnerzielungsabsicht mit dem Blog gab, blieben wir eine überschaubare Runde. Wie die Zugriffzahlen auf die Artikel aussahen, weiß ich nicht mal. Wir machten das für uns, für unseren Austausch, unsere Unterhaltung, unsere Weiterbildung. Das war eine wertvolle Zeit damals. Wir lernten viel von- und übereinander, vor allem Toleranz unter erschwerten (hormonell gesteuerten) Bedingungen bei anders gearteten Meinungen. Konfilkte zwischen einzelnen Protagonistinnen wurden manchmal bis ins Kleinste analysiert und hausfrauenpsychologisch auseinander genommen, und sie sprengten auch schon mal die Forengemeinschaft. Neue Foren entstanden, und irgendwann auch immer mehr Mami-Blogs.

Zuviel Output

Die Community trifft sich heute bei Facebook, und jede Mami die da Spaß dran hat ist ihr eigener Self Publisher geworden. Aus Mamis wurden berufstätige Mütter, die über den Spagat zwischen Familie und Beruf bloggen oder Blogs rund um ihre Profession befüllen. Es sind viele geworden, zu viele. Wer soll das alles lesen? 😉

Ich blogge nur noch manchmal, um Gedanken, die zu lang für Facebook sind, einen Rahmen zu geben oder um Freunde zu portraitieren. Heute erstelle ich für Unternehmen Blog- und Content-Konzepte, setze für sie Blogs auf und unterstütze beim Storytelling.

Privat habe ich mit für das neue Jahr vorgenommen, meinen Schwerpunkt wieder mehr auf die Fotografie zu legen. Back to the roots. Genug der Worte, nun müssen Bilder folgen.

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Dieser Artikel folgt dem Aufruf des Tech-Blogs BASIC Thinking, das 2003 von Blogger-Urgestein Robert Basic aus dem Boden gestampft wurde. Während wir Mamis damals überwiegend unter uns blieben, zog es ihn mit seinem unkonventionellen Schreibstil und teils frechen Thesen rund um Leben und Technik in die virtuelle Welt. Damit hatte er großen Erfolg: In Zeiten wo Pageranks die Wertung für Blogs waren, stand BASIC thinking ganz weit oben. Und weil seine Links zu anderen Blogs diese Blogs aufwerteten, trug die Begeisterung für BASIC thinking zuweilen lustige Blüten: Auto-Blogger Jan Gleitsmann ließ sich extra ein T-Shirt drucken, um Robs Aufmerksamkeit zu erregen 😉

2009 versteigerte Robert sein Blog BASIC thinking mit inzwischen 12.000 Artikeln über ebay und sorgte mit der Aktion dafür, dass auch die konventionellen Medien endgültig auf Blogger aufmerksam wurden. Nun schreibt er dort wieder als Gast. Und diesmal werde ich mitlesen.

P.S.: Happy Birthday, Robert! 🙂

Nachtrag: Robert ist am 2. November 2018 viel zu früh gestorben. Er fehlt.

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