Ich bin eine Kamera #DearHamburg

Digitalien|Menschen & Me

Zwei meiner Fotos hängen derzeit in einer Ausstellung. Bei der Ausstellungseröffnung habe ich mich mit F.C. Gundlach, einem der bedeutendsten deutschen Fotografen und Kuratoren, über eines dieser beiden Fotos austauschen können. Ich bin eine Künstlerin.

Bin ich eine Künstlerin? Vielleicht könnte ich mal eine werden. Wenn ich die Zeit und Muße fände, meine drei Umzugskartons Schwarzweißfilme und meine sechs Terabyte digitaler Fotos, die ich in den letzten 29 Jahren gesammelt habe, zu sichten, zu sortieren, zu bearbeiten, in einen neuen Kontext zu setzen. Viel Rohstoff um Kunst zu schaffen. Mit der ich mich auch erst mal auseinander setzen müsste. Vielleicht komme ich dazu wenn ich eines Tages in Rente gehen werde. Wenn ich das dann will.

Ich gehe selten auf Fotoausstellungen. Das liegt daran, dass ich in meinem Leben gefühlte Trilliarden Fotos betrachtet habe, spätestens seit ich online gegangen bin.

Das liegt auch daran, dass ich kein Kunstverständnis habe. Ich gehöre zu den Menschen, die ratlos vor dem teuersten Foto der Welt stehen und sich fragen, warum das Kunst sein soll. Gutes Handwerk erkenne ich. Das teuerste Foto der Welt ist gutes Handwerk. Dekoration auch. Aber Kunst? Das weiß ich nicht. Kunst muss jedenfalls nicht dekorativ sein. Das weiß ich. Wenn verblüffendes Marketing eine Kunstform ist, dann ist es Kunst.

Muss man Regeln kennen, bevor man sie bricht?

Ich erkenne fotografische Regeln wie den goldenen Schnitt oder die Drittelregel. Ich kann auch erklären, warum mich ein Foto anspricht. Auch dann, wenn es keiner erkennbaren fotografischen Regel folgt. Ich tu es aber nie. Ich erkläre nicht. Ich sehe. Ich erkenne. Ich fühle. Wenn es sich anfühlt, dann ist es ein gutes Foto. Egal ob es sich gut oder schlecht anfühlt. Und das ist ein so subjektives Ding, dass ich weder Maßstäbe setze, noch welchen folge.

Ich fotografiere genau so. Mal folge ich fotografischen Regeln, oft nicht. Ich dokumentiere. Ich dokumentiere meine Umwelt so, wie ich sie in diesem Augenblick empfinde und wahrnehme. Deshalb wandle ich meine Fotos in schwarzweiß um oder füge eine Vignette hinzu oder belege sie mit einem Filter. An einem sonnigen freundlichen Tag kann ein Foto von mir trotzdem kühl und düster wirken, vielleicht weil es für mich kein guter Tag war. Ein Sonnenuntergang kann im übernatürlichen Farbenrausch ertrinken, wenn ich in diesem Moment glücklich war.

Der gleiche Raum mit Menschen kann innerhalb von Sekunden mal steril und kühl, mal warm und gemütlich für mich wirken, nur weil die Menschen, die ich darin fotografiere, andere sind.

Dokumentation meiner Wahrnehmung

Wenn ich fotografiere, was ich sehe, dann kann meine Kamera nicht sehen, was ich sehe. Deshalb benutze ich Filter: Um zu zeigen, was ich gesehen habe. Journalisten und Puristen sagen: Dann ist es keine Dokumentation. Ich sage, es ist meine Dokumentation. Die Dokumentation meiner Wahrnehmung. Meine Darstellung meiner Wahrnehmung wird in vielen Fällen von unbeteiligten Betrachtern nicht so wahrgenommen, wie ich sie gemeint habe. Das liegt daran, dass sie eine andere Geschichte und damit eine andere Wahrnehmung haben, als ich. Fotografie ist immer subjektiv. Vielleicht ist deshalb jedes Foto Kunst. Für viele. Für manche. Vielleicht auch nur für einen.

Seit 2010 zeige ich viele Fotos auf Instagram, weil es geht. Schnell und einfach. So ist Instagram zu meinem fotografischen Gedächtnis geworden. Wenn ich mal Alzheimer haben sollte, und diese Fotos betrachten kann, dann werde ich mich nicht an den Tag erinnern und auch nicht an den Ort oder die Menschen, die ich fotografiert habe. Aber ich werde mich immer an das Gefühl erinnern, das ich in diesem Moment hatte. Das hoffe ich zumindest.

Wird es Kunst durch Aufmerksamkeit?

Ich freue mich über Feedback. Deshalb verstecke ich nicht alle Fotos auf meinen Festplatten. Aber ich buhle wenig darum. Ich versehe meine Fotos mit Hashtags um ein paar Leute zu erreichen oder auch, um sie selbst zu sortieren. Manchmal. Und ganz manchmal nehme ich an Fotowettbewerben oder Aufrufen teil. Wenn ich einen Bezug zum Thema habe. Oder um ein Lieblingsfoto noch mal einem anderen Publikum zeigen zu können. Natürlich bin ich eitel. Ein bisschen.

Ich like selten und kommentiere noch seltener die Fotos anderer. Weil ich mir nicht die Zeit dafür nehme. Würde ich das tun, hätte ich auf Instagram nicht nur 1.000 Abonnenten, sondern 10.000. Denn es kommt nicht auf die Qualität oder Gefälligkeit der Fotos an, sondern um die Interaktion mit anderen Communitymitgliedern. Das war schon immer so und wird auch immer so sein. Es gibt Gewerke, da nennt man das Marketing. Da ist es wieder.

Wird es Kunst durch Inszenierung?

Nun haben zwei meiner Fotos es in eine Fotoausstellung geschafft. Alles was ich dafür tun musste war, meine liebsten Instagram-Fotos aus Hamburg mit dem Hashtag #dearhamburg zu versehen. Dazu hatte die Kunsthistorikerin Anika Meier (This Ain’t Art School) für die Galerie DEAR Photography der Kunstsammlerin Daniela Hinrichs aufgerufen. Darüber informiert haben die beiden Frauen vor allem über Instagram und Facebook. Bis zum Teilnahmeschluss waren innerhalb von sechs Wochen 5.400 Fotos eingereicht worden. 150 davon haben es in die Ausstellung geschafft. 88 davon zeigen Container. Sechs von den anderen sind schwarzweiß. Zwei von diesen sechs sind von mir.

Die 88 Containerfotos, jedes für sich für jemanden ein Kunstwerk, haben Anika Meier und Daniela Hinrichs zu einem großen Gesamtkunstwerk zusammengefügt. Bunte Container, oft bei gemeinsamen Fotospaziergängen der Hamburger Instagram-Community inszeniert und aufgenommen, exemplarisch für das Motto „DEAR Hamburg“, Symbol für den Jahrhunderte alten Hafen- und Handelsstolz der Hamburger. So jedenfalls nehme ich diese Collage wahr. Ich habe niemanden gefragt.

Wird es Kunst, wenn der Schöpfer bestes Marketing betreibt?

Im Vorgeplänkel der Ausstellungvorbereitung, das hier und da über die sozialen Netzwerke zu verfolgen war, registrierte ich Kai Diekmanns plötzlich aufkeimendes Interesse an Instagram, nicht zuletzt durch seine Teilnahme. Der seit dem Redaktionsumzug nach Berlin in Potsdam lebende Herausgeber der BILD hatte auch einige seiner Fotos, die bei Stipvisiten in Hamburg entstanden sein müssen, mit dem Hashtag versehen.

Seine Fotos sind so wie die BILD: Immer ein bisschen zu grell, immer ein bisschen zu sehr bearbeitet, immer ein wenig überzeichnet. Jemand wird ihn wohl auf die Aktion hingewiesen haben, jemand dem er wohlgesonnen ist. Anders lässt sich kaum erklären, warum BILD Hamburg plötzlich so kunstaffin geworden ist, dass sie der Ausstellung und der Nachberichterstattung zur Ausstellung soviel Aufmerksamkeit geschenkt haben.

Dass es eines seiner Fotos in die Ausstellung geschafft hat, ist ein amüsanter Nebenschauplatz. Sicher hätte man über die Aufnahme des einen oder anderen Fotos der anderen Instagram-Künstler auch vortrefflich streiten können, so wie man es bei jedem Fotowettbewerb und jeder Ausstellung tun kann, wenn man will. Insofern kann ich nicht beurteilen, ob Diekmanns Foto es auch auf normalem Weg in die Ausstellung geschafft hätte.

Dass sein Bild im überdimensionalen Format auf Acryl in der Galerie zu finden war, ganz im Gegensatz zu allen anderen, die schlicht auf Papier und in wesentlich kleineren Formaten nackt an die Wand gehängt wurden, lag daran, dass der Künstler es unaufgefordert eingeschickt hatte, noch bevor die Auswahl aller Fotos getroffen worden war.

Ich stelle mir vor, das so etwas der Alptraum eines jeden Kurators sein muss. Unmöglich ein Foto in diesen Dimensionen und dieser Aufmachung zu hängen, ohne ihm eine im Vergleich zu den anderen Fotos unangemessen große und besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Ganz schwierig es zu ignorieren und es einfach nicht zu zeigen, wenn der Künstler für so viel Werbung und Aufmerksamkeit sorgt, wie sie einer kleinen lokalen Ausstellung nur selten zugute kommt. Zumal dann, wenn es nicht schlechter ist als andere.

Wie also umgehen mit dem ja, wie ich finde, durchaus charmanten Größenwahn eines einzelnen Teilnehmers? Nun, gehängt wurde das Foto nicht, aber man konnte es entdecken. Und seine Platzierung erscheint sowohl angemessen, als auch unterhaltsam. In gewisser Weise wurde es als Arrangement mit dem Stuhl wiederum zu einem Gesamtkunstwerk, ein Ensemble. Der Künstler, zur Eröffnung nicht anwesend, nahm es mit Humor und retweetete dieses Dokument. Gewohnt souverän und durchaus selbstironisch.

Kunst ist vielleicht das virtuose Zusammenspiel der Eitelkeiten

Ich nehme an, ohne Betrachter gibt es keine Kunst. Oder zumindest niemanden, der das Werk eines Schöpfers als Kunst identifizieren kann. Die ernsthafte Definition von Kunst überlasse ich gerne Menschen, die davon mehr wissen, als ich. Als reine Beobachterin darf ich wohl eine solche Ausstellung und die um sie herum auf so vielen Ebenen stattfindenden Inszenierungen und kleinen und größeren Eitelkeiten ebenfalls als ein Gesamtkunstwerk wahrnehmen.

Denn immer geht es um Aufmerksamkeit, auch um Respekt, und auch um Wahrnehmung. Und dabei darf es sowohl zu Irritiationen als auch zu Überraschungen kommen.

Es sei noch erwähnt, dass auch sieben tatsächliche Instagram-Fotokünstler im zweiten Raum der Galerie ausgestellt werden. Aufgefallen sind mir hier besonders die Fotos der Spanierin Maria Moldes, die in ihrer ganzen Anmutung so sehr an die Fotos von Martin Parr erinnern, dass man beim Betrachten unwillkürlich die Google Bildersuche bemühen möchte.

Ich mag diese überzeichnete, schrille, überauthentische Bildsprache. Und diese Serie erinnert mich daran, dass alles schon fotografiert wurde. Nur noch nicht von jedem.


Ertappt beim (be)deuten der eigenen Kunst

So groß die Freude über meine Teilnahme an der Ausstellung auch war, so wenig Bedeutung habe ich ihr beigemessen, bleiben meine Fotos schlicht zwei von vielen, und auch eine Ausstellung ist vergänglich. Meine Fotos sind keine Jahrhundertfotos, die dem Betrachter ewig in Erinnerung bleiben werden.

Besonders wird dieser Ausschnitt meines Fotolebens jedoch für mich bleiben, eben wegen jenem Moment, in dem ich mir ein Herz gefasst und den für mich völlig überraschend anwesenden Fotografen F.C. Gundlach angesprochen habe. Aufgeregt wie ein kleines Mädchen, das einen besonderen Menschen anspricht eben.

Unser Gespräch war denkbar kurz, ich fragte ihn wie er diese Entwicklung zur Jedermann-Fotokunst auf Instagram betrachtet (durchaus wohlwollend), und ob es sehr unverschämt wäre ihn zu fragen, ob ich ihn vor meinen Fotos fotografieren dürfe. Ich glaube, er zögerte kurz, fragte nach, welche meine seien, ich zeigte sie ihm. Bei meinem Mann im Nebel glaubte ich, leises Interesse bei dem großen Fotografen wahrnehmen zu können, der schon unverwechselbare Fotokunst produzierte, als meine Mutter noch ein Baby war.

Und tatsächlich war er bereit, sich neben diesem Foto ablichten zu lassen. Er fragte noch: „Warum schwarzweiß?“ Heute fielen mir so viele kluge Formulierungen als Antwort ein, gestern konnte ich nicht viel mehr herausbringen als: „Weil die Farbe gestört hätte.“ Er brummte und nickte.

Vermutlich hat er den Mann im Nebel gleich wieder vergessen. Für mich dagegen hat mein eigenes Foto für immer an Bedeutung gewonnen. Es ist kein besseres oder anderes Foto geworden, als es vor dieser kurzen Begegnung war. Aber nun hat es für mich an Geschichte gewonnen. Vielleicht liegt darin für mich die Kunst.

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Ein Beitrag geteilt von Sandra Schink (@shamani)

Ich bin eine Kamera

Ob ich mich jemals intensiver mit der Kunst, der anderer und der eigenen, auseinandersetzen werde, das steht noch in den Sternen. Bis dahin halte ich es wohl weiter wie der Schriftsteller Christoper Isherwood:

Ich bin eine Kamera mit offenem Verschluß, nehme nur auf, registriere nur, denke nichts …

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