Erschienen 8.5.2017 auf fotoMAGAZIN
Ein Print-Magazin für Smartphone-Fotografen? Was soll das denn? Wenn ich Smartphone-Fotos sehen möchte, gehe ich zu Instagram. So oder so ähnlich werdet Ihr reagieren, wenn Ihr vom neuen SMART SHOT Magazin für Smartphone-Fotografie hört. Warum ein Print-Magazin trotzdem cool ist, warum wir das machen, und was Ihr dafür tun könnt, lest Ihr hier!
Thorsten Höge hat mir ein Angebot gemacht, das ich nicht ausschlagen konnte. Thorsten ist Chefredakteur des etablierten fotoMAGAZINs, der Fotofachzeitschrift mit der wohl ältesten und umfangreichsten Fotoexpertise in Deutschland. Seit 1949 erscheint die gedruckte Ausgabe. Da waren die meisten von uns noch nicht geboren.
In Thorstens Büro reihen sich auf dem Schrank uralte Sammelschuber mit den alten Ausgaben. Als ich angefangen habe für das fotoMAGAZIN zu schreiben, saß ich auch nach Feierabend oft lange in seinem Büro und blätterte in Heften aus den fünfziger und sechziger Jahren, ein bisschen ehrfürchtig, staunend und oft auch amüsiert.
Alte Artikel über Tutorials, zum Beispiel über den korrekten Einsatz eines Balgens muten heute umständlich und kompliziert an.
Und da schreibt ein Leser in einem Leserbrief der Juni-Ausgabe aus dem Jahr 1949: „Entschuldigen Sie bitte meine Pedanterie, aber die „auffliegenden Enten“ (Mai-Heft, S. 19) sind keine Enten, sondern Bläßhühner.“
Hochkritische Leser gab es also schon immer, sie sind keine Erfindung des Internets. Ob aber jemand mal in 60 Jahren durch alte Facebook-Kommentare liest und sich darüber amüsiert, über welche Themen sich heute jemand geärgert hat, das weiß ich nicht. Es sind so viele geworden.
So wie es so viele Artikel geworden sind. So viele Tutorials. So viele Fotos. So viele Statusmeldungen. So viele Fotocommunities, Facebook-Gruppen, Kommunikations-Apps, Bookmark-Dienste in denen hunderte hektisch gespeicherter Artikel darauf warten, dass sich endlich jemand Zeit für sie nimmt und sie liest.
Manchmal frage ich mich, ob es wirklich noch lohnt, in dieses so übervolle Internet zu schreiben. Ich bräuchte viel mehr Zeit. Zeit zum Lesen. Zeit zum Schmökern. Und manchmal auch ein bisschen weniger Auswahl in dieser Flut an Informationen.
SMART SHOT ist ein Heft zum Schmökern
Und nun kam also Thorsten Höge und hat mir ein Angebot gemacht, das ich nicht ausschlagen konnte. „Lass uns ein Magazin nur über Smartphone-Fotografie machen!“ hat er gesagt. “So richtig auf Papier?“ fragte ich. „So richtig auf Papier.“ Verrückt.
Und weil es so verrückt klingt, habe ich sofort zugesagt.
Natürlich werdet Ihr sagen: „Wenn ich Smartphone-Fotos sehen möchte, dann gehe ich auf Instagram.“ Oder „Wenn ich Tutorials für Apps suche, dann gucke ich auf YouTube.“ Und „Wenn ich wissen will, welche Smartphones gerade die besten Kameras haben, dann google ich danach.“
Aber vielleicht bekommt Ihr trotzdem Lust auf bedrucktes Papier.
Warum? Vielleicht, weil es übersichtlich ist und Ihr nicht erst googlen müsst, weil wir das schon für Euch recherchiert haben – und das nicht nur bei Google. Oder weil es inspirierend ist, weil wir ein paar Fotos gefunden haben, die Ihr noch nicht kennt. Und weil wir die Fotografen dazu interviewt haben.
Vielleicht, weil Ihr ein Tutorial besser verstehen könnt, wenn Ihr nicht einen zweiten Screen habt und bei YouTube auf Stopp drücken müsst, um den nächsten Schritt nachzuvollziehen.
Vielleicht auch, weil es raschelt, wenn Ihr die Seiten umblättert. Oder einfach, weil es sich auch bei praller Sonne prima lesen lässt, auf dem Balkon, im Biergarten oder am Strand.
Genau: Eben nicht auf der Arbeit, zwischen Job und Facebook checken 😉 Sondern gemütlich nach Feierabend oder am Wochenende mit Muße.
Vielleicht auch, weil ein Print-Magazin einfach etwas völlig anderes ist, als ein Blog. Vor allem auch für uns Schreiber und Fotografen.
Papier will nicht sinnlos vergeudet werden
Ich schreibe seit 1996 ins Internet, so wie mir die Worte aus den Fingern fließen. Wie auch in diesem Artikel hier schweife ich gern aus, verlaufe mich schon mal in ein anderes Thema, und das mache ich, weil ich es kann. Blogs haben keine Wortbegrenzungen, sie sind niemals voll geschrieben, es ist immer genug Platz da für zuviele Adjektive. Und es ist niemand da, der mich stoppt.
Produziere ich für ein Print-Magazin, dann stoppen mich alle: Der Chefredakteur weist mir eine begrenzte Seitenanzahl zu, der Grafiker bittet um Kürzung von Texten zugunsten von Illustrationen, Fotos oder einfach für mehr Weißraum.
Und wisst Ihr was? Das ist cool so. Denn so muss ich mich mal auf das Wesentliche konzentrieren, schwurbele weniger rum, und spare tatsächlich mit Adjektiven 😉
Und dann ist da noch das Lektorat: Die Kollegen, die meine Texte redigieren, weisen mich auf die Einhaltung einheitlicher Schreibregeln hin, bestehen auf Gedankenstrichen statt Bindestrichen, weisen gnadenlos auf jeden Rechtschreibfehler hin, den ich online noch nachlässig in der alten Rechtschreibung durchgehen lasse.
Hier achten alle mit darauf, dass wir ein wirklich gutes Heft ans Kiosk bringen!
Kuratieren und diskutieren
In den Fotostrecken feilschen Chef, Grafiker und ich um jedes Foto: Machen wir dieses oder jenes größer, passt das optisch, hat die Fotografin vielleicht nicht noch ein anderes in ihrem Feed, das besser ins Gesamtbild passt?
Hat die Geschichte sich im Laufe der Recherche wie gewünscht entwickelt? Brauchen wir wirklich sechs Seiten zum Thema Selfies? Wirklich? Oder haben wir nicht eine Seite mehr für dieses herrlich verrückte Model mit seinen apokalyptischen Fotos?
Jedes Foto, jeder Beitrag wird abgewogen, ausschweifende Texte gekürzt, andere werden ausgetauscht, „Komm zum Punkt!“ höre ich häufiger. „Und denk an die Deadline!“
Ach ja, die Deadline. Wenn es nicht gerade eine brandaktuelle Exklusivgeschichte ist, dann kenne ich online keine Deadlines. Natürlich versuche ich immer, sie einzuhalten, und meistens gelingt mir das auch. Aber wenn das Leben mal dazwischen grätscht, dann mache ich mir keinen Stress mehr. Dann bitte ich den Kunden um einen Tag Aufschub, und dann geht die Kolumne eben einen Tag später online.
Aber hier bin ich in der Print-Welt. Alle warten auf mich. Denn der Drucktermin ist festgelegt, die Druckerei hat diesen Termin für uns geblockt. Können wir nicht pünktlich drucken, dann kostet das richtig viel Geld.
Und egal wieviel Zeit man am Anfang des Projektes meinte zu haben: Wenn es dem Ende zu geht, die Deadline näher rückt, und der letzte Text noch nicht geschrieben ist, dann heißt es Nachtschichten einlegen und durchziehen.
Ein kritischer Blick hilft
Bevor dann die Proofs zum Belichten der Druckplatten in die Druckerei gehen (darüber wird Euch Kollegin Anne Schellhase demnächst mehr erzählen), werfen alle die letzten kritischen Blicke darauf, und natürlich finden sich immer noch Fehler! Großartig ist es dann auch, wenn der Grafiker noch darauf hinweist, dass Apple über Nacht die App-Preise erhöht hat und wir vor dem Druck noch alle angegebenen Preise aktualisieren können. Denn – eben auch anders als bei online – gedruckt ist gedruckt und da lässt sich nichts mehr nachträglich ändern.
Wir schreiben ein bisschen Geschichte
In 60 Jahren, wenn unsere Enkel in dieses Heft gucken, dann werden sie die Tutorials sicher nicht mehr nachvollziehen können, und sie als umständlich und kompliziert empfinden. Sie werden sich über diese altmodischen Smartphones amüsieren, weil es längst ganz andere elektronische Medien und Geräte geben wird. Und vermutlich werden sie über die strengen Vorgaben des Urheberrechtes staunen, weil längst andere Lösungen gefunden wurden.
Vielleicht aber werden sie die Fotos unserer Fotografen ganz großartig finden, weil sie diesen Einblick in eine alte Welt geben. Und auch, weil sie eben noch auf Papier gedruckt wurden.
Geleitwort
Zum Schluss noch ein Zitat aus dem Geleitwort der allerersten fotoMAGAZIN-Ausgabe im April 1949:
„Es ist, wenn eine Zeitschrift völlig neu oder im veränderten Gewand vor ihr Publikum tritt, wohl üblich, sich einer Reihe hochstehender und wohlmeinender Paten zu versichern, die mit freundlichen Worten den noch nicht abgeschliffenen Ecken und Kanten ein wenig Vergoldung verleihen sollen.
Das Photo-Magazin soll für sich selbst sprechen. Deshalb können wir diesen Raum, der sonst leeren Worten gewidmet wäre, benutzen, um die Zwiesprache mit dem Eigentümer der Zeitschrift aufzunehmen.
Denn dem Leser soll das Blatt gehören – der Gesamtheit aller Photobeflissenen in Deutschland, denen an der Entwicklung und Pflege einer lebendigen Photographie gelegen ist – ob sie nun zufällig heute wieder eine Kamera in Händen haben oder nicht.“
Und so soll es auch für SMART SHOT sein.