Tornado über Hamburg? Oder New York? Düsseldorf? Nebraska?

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Juni 2017 – Wenn draußen der Regen peitscht, der Wind um die Häuser weht und die Dachziegel klappern, dann ist die Zeit für Sturmgeschichten. Am liebsten vor dem Kamin, oder an unserer großen virtuellen Feuerstelle: Unserem Newsfeed auf Facebook, Twitter oder sonstwo im Internet. Und so wurde uns auch letzte Woche wieder eine Geschichte erzählt, die schnell die Runde machte: Es war die Geschichte um den Tornado über Hamburg.

Die Geschichte war in allen Newsfeeds und in vielen bekannten Medien, und selbst heute, findet man unter der Google-Suche „Tornado Hamburg“ nach wie vor überwiegend Schlagzeilen, die auf das spektakuläre Erscheinen eines Tornados über Hamburg hindeuten, nur SPIEGEL online hatte Skepsis geäußert. Gesehen oder gar gefilmt hatte den tosenden Trichter nämlich merkwürdigerweise niemand.

In Fotos von Wolkenschnipselchen wurde zwar die spektakuläre Entstehung eines Tornado-Rüssels hinein fabuliert, und die Verwüstungen und Überschwemmungen in Hamburg und der Region zeugten durchaus davon, dass Sturmtief „Paul“ nicht zimperlich gewesen ist. Aber den Tornado über Hamburg hatte dennoch niemand gesehen. Bis heute!

Dann tauchte es auf; Pauls Tornado über Hamburg hatte ein Gesicht, und es füllte die Newsfeeds! Endlich!

Sturm über New York - Montage

Doch halt. Dieses Gesicht hat bereits einen anderen Namen. Und es ist ein Fake! Im Dezember 2013 machte er die Runde, als der Hamburger Journalist und Media Trainer Claus Hesseling nach dem Orkantief Xaver diese Fotomontage per Twitter verbreitete – quasi als lebendiges Anschauungsmaterial für seine Seminare.

Er wollte sehen, wieviele seiner Follower das Bild ohne Verifizierung der Echtheit und ohne Quellenverweis weiterteilen würden. Es waren viele.

Die Idee zu dieser Montage war nicht neu. Und der Sturm ist noch viel älter. Im November 2012 baute sich der selbe Sturm über der New Yorker Skyline auf: Das Bild ging als Dokumentation des Hurricane Sandy um die Welt. Wer es in die Welt setzte ist heute nicht mehr nachzuvollziehen. Wer in der Googlesuche nach dem Bild sucht, erhält über 20 Millionen Ergebnisse. Für mich überraschend: Als ein Journalistenkollege es unkommentiert bei Facebook postete, dauerte es nur wenige Minuten, bis die ersten Bildredakteure nach Originalauflösung und Quelle fragten.

Fake-Montage von einem überdimensional riesigen Gewitterwolke über New York
2012 ging diese Montage des Sturms über der Freiheitsstatue in New York als Foto des Hurricanes Sandy um die Welt.
Facebook

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Bereits im Februar 2012 veröffentlichte der Fotograf Sven Gores den gleichen Sturm, nur schwebte er da bedrohlich über dem Medienhafen Düsseldorf. Das Foto findet sich in seinem Facebook-Album Foto vs. Photoshop, dennoch hielten viele seiner Kommentatoren es für ein echtes Foto.

Stormchaser: Auf der Jagd nach dem großen Sturm

Doch was ist das eigentlich für ein Sturm, der offenkundig schon um die ganze Welt rotiert ist? Mir begegnete er das erste Mal im März 2006 im DSLR-Forum – noch ohne jede montierte Skyline, aber schon mit einer falschen Beschriftung. Jemand hatte mehrere Fotos mit der Überschrift Hurricane Katrina (August 2005, Südosten USA) hochgeladen und sie später wieder gelöscht, weil eine Diskussion über den Ursprung der Fotos entbrannt war. Ich erinnere mich, wie sehr mich diese Fotos beeindruckt hatten und ich folgte einem Link, der auf die Seite des echten Fotografen führte. Und hier fand ich die wahre Geschichte dieses Sturms.

Es handelte sich um eine Superzelle, die der Sturmjäger Mike Hollingshead bei ihrer Entstehung fotografisch begleitet hat. Das war im Mai 2004 – in Nebraska, USA.

Superzelle über Nebraska, USA, 2004
Superzelle über Nebraska, USA, 2004, Foto: Mike Hollingshead

Der berühmteste Sturm der Welt?

Mikes Foto von dieser Superzelle ist seit 2004 millionenfach geteilt und für Montagen eingesetzt worden. Und nur sehr selten ist er vorher gefragt worden. Mal ganz abgesehen von seinem Copyright: Wenn er für jede Selbstbedienung auch nur einen Cent bekommen hätte, er wäre ein gemachter Mann. Doch auch oder gerade wegen der Popularität seines Fotos konnte er es auch ab und an verkaufen.

Zeit ihm ein wenig Aufmerksamkeit und Respekt für seine Arbeit, seinen Einsatz und auch seinen Mut zu zollen: Auf seiner Seite Storm and Sky könnt Ihr fantastische Sturm- und Wetterfotos kaufen. Und bei Amazon findet sich sein Fotoband mit Sturmgeschichten.

Dass es sein Foto ist, das auch nach nunmehr 13 Jahren immer neue Einsätze als Montagematerial für Foto-Fakes erhält, verwundert ihn: „Warum finden die Leute eigentlich keinen neuen Sturm zum Faken? Alles was sie tun müssten ist eine Bildersuche wie tineye.com oder andere zu nutzen.“ Aber oft muss er auch schmunzeln: „Es ist immer wieder lustig zu lesen, wie und wo die Leute dieses Bild gefunden oder die Fakes aufgenommen haben wollen. Es gibt viele seltsame Wege, die dieses Foto schon gegangen ist.“

Wie können Fakes wie der „Tornado über Hamburg“ entlarvt werden?

Meine erste Maßnahme ist immer, wenn mir ein angebliches Augenzeugenbild spontan komisch vorkommt, die Bildersuche von Google zu bemühen. Der Chrome-Browser hat diese Funktion schon implementiert: Ein Rechtsklick auf ein Foto öffnet das Kontextmenü, dort einfach den Punkt „Mit Google nach Bild suchen“ anklicken, und schon zeigt das Ergebnis eindeutig: Dieses Bild ist schon sehr sehr oft um die Welt gegangen.

Von anderen Reverse-Suchdiensten wie das von Mike erwähnte tineye.com gibt es zudem Add-Ons für Browser, die genau so funktionieren wie die Google-Bildersuche.

Doch wie kann ein Laie überhaupt darauf aufmerksam werden, dass es sich um ein Fakebild handeln könnte?

  1. Ein erstes Indiz ist immer: Das Bild ist so absolut spektakulär, irritierend, überraschend, dass es sich um etwas nie dagewesenes handelt. Da kann man – ähnlich wie bei reißerischen Überschriften von Fakenews – schon mal stutzig werden. Die erste Frage bei einem solchen „Augenzeugenbild“ sollte vor dem Weiterverbreiten immer lauten: Kann das wirklich sein?
  2. Wenn man sich diese Frage gestellt hat, muss man oft nur mal etwas genauer hinsehen. Selbst wenn man selbst kein Foto-Profi ist wird sich dann ganz häufig dieses Bauchgefühl einstellen: Ich weiß zwar nicht genau was es ist, aber irgendwie sieht das komisch aus.
    Wer an dieser Stelle keine Lust auf sherlocken mehr hat, sollte einfach unterlassen, das scheinbar spektakuläre Bild weiter zu teilen, oder jemanden fragen, der sich damit besser auskennt.
  3. Indiziensuche: Ist die Lichtstimmung plausibel? Steht die Sonne an der richtigen Stelle? Ist die Farbkombination stimmig? Passt die Perspektive? Passen die Größenverhältnisse? Gibt es harte Kanten im Bild, die irgendwie komisch aussehen? Gibt es helle Säume um dunkle Bildelemente? Bei vertrauten Motiven: Steht alles da, wo es sonst auch steht?

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