Perry schaute streng. Er schaute immer streng, aber diesmal wirkte seine faltige Miene noch düsterer. „Die Helden sind alle tot.“ sagte er, mehr für sich. Das Wort „Helden“ schmeckte bitter.
Er sagte mir das, als ich eines Tages in einem dieser schräg betonierten Gänge im damaligen Gruner + Jahr-Gebäude mit ihm zum Plausch zusammenstand. Ich hatte ihn halb im Scherz als „einen der letzten Helden“ bezeichnet. Denn er hatte Fotogeschichte geschrieben, oder besser gesagt, dokumentiert.
Perry Kretz war ein fester Fotojournalist beim Magazin stern, als es noch relevant war. Als Krisen- und Kriegsfotograf hielt er schwere Konflikte in Nicaragua, Ruanda, Liberia, Afghanistan und vielen anderen Krisenregionen fest. Zuvor hatte er selbst als Soldat der USA am Koreakrieg teilgenommen.
Irgendwann 2009 hatten wir einen Interviewtermin für das ePaper VIEWspotlight vereinbart. Doch er sagte ihn wenige Tage zuvor ab. Er hatte einen Unfall und sich dabei einen Bruch zugezogen. Nein, der alte Mann war nicht im Badezimmer ausgerutscht. Er war in Afghanistan vom Panzer gefallen.
Perry war kein Fotokünstler, er war ein Handwerker. Er setzte ein Objektiv ein, das in Pixelpeeper-Fotoforen despektierlich „Scherbe“ oder „Suppenzoom“ genannt wurde. Es hatte einen Brennweitenbereich von 18-300mm und konnte daher nicht mit der Qualität von Festbrennweiten mithalten.
„Was soll ich mit unflexiblen Glasbausteinen?“ schnaubte er mal. „Wenn Dir Kugeln um die Ohren fliegen, wechselst Du keine Objektive. Sonst wirst Du zum Helden.“
Seine Kunst war es, völlig unmögliche Situationen dokumentieren zu können. Zwischen den Fronten. Im Kugelhagel. Aber auch in seinen oft sehr speziellen Netzwerken, die ihn nah ran brachten an Mafia und Despoten.
Seine Hartnäckigkeit war sein wichtigstes Werkzeug. Er blieb dran, ließ sich nicht abschütteln. So gelangte er an Orte und begnete er Menschen, die sonst niemand zu Gesicht bekommen hätte.
Dieses Leben hatte ihn hart gemacht. Trotzdem konnte er eine sanfte und fürsorgliche Seite zeigen. Als einer der ersten Journalisten sprach er mit Kim Phuc, dem damals neunjährigen Mädchen, das im Vietnamkrieg ungewollt zum Symbol für den „Terror of War“ wurde. Er brachte sie nach Deutschland, damit ihre Verbrennungen durch Napalm hier bestmöglich behandelt werden konnten, und blieb viele Jahre mit ihr in Kontakt. Wenn er über sie sprach, konnte man sehen, wie sein Gesicht weicher wurde.
Perry hatte Ecken und Kanten. Er hat viele Dinge gesehen, die niemand sehen sollte. Die niemals passieren sollten. Und die dennoch immer wieder passieren.
Und die eben deshalb dokumentiert werden müssen, damit die Welt auf sie aufmerksam gemacht werden kann. Krisenreporter ist einer der härtesten, gefährlichsten und umstrittensten Jobs im Journalismus.
Danke, dass Du ihn gemacht hast, Perry.
Perry Kretz ist am 10. Dezember 2020 im Alter von 87 Jahren in Hamburg gestorben.
Stationen von Perry Kretz
Noch ein einige Eckdaten zu Perry Kretz und seinem Lebenswerk:
- 1933: Perry Kretz wurde am 9. September 1933 in Köln geboren.
- 1950: Nach seiner Ausbildung zum Schriftsetzer wanderte er in die USA aus.
- 1950er Jahre: In New York besuchte er das Hunter College und studierte
Journalismus an der New York University. Während dieser Zeit arbeitete er für die New York Post und die britische Nachrichtenagentur Keystone. - 1953: Nach seinem Studienabschluss nahm Kretz die amerikanische
Staatsbürgerschaft an und trat der United States Army bei. Er kämpfte als Soldat im Koreakrieg. - 1969: Kretz begann für das Hamburger Magazin Stern zu arbeiten, vor allem in
Krisen- und Kriegsgebieten. Er berichtete über Kriege und Bürgerkriege in Afrika, Südamerika und Asien. - Vietnamkrieg: Kretz führte Interviews mit Zivilisten.
- Weitere Berichterstattung: Perry berichtete ausführlich über die
Nicaraguanische Revolution, den Völkermord in Ruanda, den Bosnienkrieg, das
Massaker von El Mozote und den Liberianischen Bürgerkrieg. - Auszeichnungen: Die World Press Photo Foundation zeichnete seine Reportagen
„New York Street Gangs“ und „Swimmingpool von Präsident Mobutu“ jeweils mit
einem 3. Preis aus. - 2020: Perry Kretz verstarb am 10. Dezember 2020 in Hamburg.
Perrys Arbeit und sein Einsatz für den Journalismus haben ihn zu einer herausragenden Persönlichkeit in seinem Fachgebiet gemacht. Seine Fotos und Berichte haben dazu beigetragen, das Bewusstsein für globale Konflikte zu schärfen und die Geschichten derjenigen zu erzählen, die am stärksten von diesen Konflikten betroffen sind.