Es war der Corona-Sommer 2020. Wir hatten uns gerade Motorräder gekauft, weil wir ja nicht in den Urlaub fahren konnten. Ich erinnere mich an meine Freude darüber, dass wir es endlich getan hatten. 21 Jahre nachdem ich den Führerschein gemacht hatte. Nur um noch vor der Prüfung festzustellen, dass ich schwanger war. Und 15 Jahre, nachdem mein Schwager, dem ich meine NX650 nach der Geburt des 2. Kindes in treue Hände gegeben hatte, sie mir verrostet und durch unzulänglichen Transport an vielen Stellen beschädigt zurück gebracht hatte. Ich hatte deshalb damals den Traum vom Motorradfahren erstmal aufgegeben.
Nun standen also endlich wieder zwei Motorräder vor der Tür.
Ich erinnere mich noch genau an den Augenblick, an dem mir bewusst wurde, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ganz und gar nicht in Ordnung. Ich schob mein Motorrad. Und ich fühlte keine Kraft in meinen Unterarmen. Wieviel Energie sonst in meinen Unterarmen steckte, das war so ein Gefühl, das mir erst bewusst wurde, als es fort war. Sie war früher jedesmal sofort da und abrufbar, wenn ich sie brauchte. Ein Kind auffangen, das drohte zu stürzen. Ein liegengebliebenes Auto schieben. Einen Typen abwehren, der meinen Tanzbereich nicht respektierte. In solchen Situationen fühlte ich sogar die Energie der Wut in meinen Unteramen fließen. So intensiv, als hätte ich Feuersalven herausschießen können.
Aber da war nichts mehr. Nichts.
Dabei war es nicht so, als hätte ich das Motorrad gar nicht mehr schieben können. Ich hatte nur das Gefühl, den Booster in meinen Unterarmen nicht mehr aktivieren zu können. Und wenn es dann mal dezent aufwärts ging, wie in unserer Einfahrt, blieb ich manchmal einfach stehen. Und kam nicht weiter. Und musste die Maschine dort abstellen, wo sie war. Oder manchmal sogar meinem Sohn oder meinem Mann übergeben, damit sie das für mich erledigen. Es machte mich wahnsinnig.
Und es wurde schlimmer.
Ich hatte im Laufe von Monaten immer mehr das Gefühl, dass Energie aus meinem Körper herausfloss, wie Wasser aus einem Nudelsieb. An ihre Stelle traten Schmerzen. Wie ein ewiger Muskelkater besetzten sie meinen Körper. Und immer wenn ich mich dennoch durchrang, etwas zu tun, im Garten, auf einem Event, im Haus, im Gym, oder nur bei einer längeren Hunderunde, begleiteten mich unmittelbar danach auftretende stärkere Schmerzen in jeder verdammten Faser meines Körpers. Noch Tage danach.
Und sie gingen nie ganz weg.
Hinzu kamen Wortfindungsstörungen. Konzentrationsschwierigkeiten, Herzstolpern, Atemnot, als würde jemand auf meinem Brustkorb stehen. Befindlichkeiten, die mich unzuverlässig werden ließen. Sagte ich heute noch einer Verabredung zu, sagte ich sie am nächsten Morgen ab. Mein Kopf wäre so gern gegangen. Mein Körper sagte: Nope.
Nie gekannte Erschöpfung begleitet seither mein Leben.
Natürlich habe ich versucht, das abklären zu lassen. Ich hatte Arztpraxen lange gemieden, aber im November ging es einfach nicht mehr. Meine Hausärztin fand – nichts. Ein Antikörpertest auf eine möglicherweise unentdeckte Corona-Infektion ergab nichts. Obwohl ich bis heute ganz sicher bin, dass unsere Familie bereits Corona hatte, bevor es offiziell in Deutschland ankam.
Der erste Fall wurde am 27. Januar 2020 in Bayern bekannt. Doch die „Grippe“, die wir bereits Anfang Januar in der Familie durchmachten, war eine fremde. Wenn wir vorher grippale Infekte oder einfach Erkältungen durchmachten, dann halfen uns bewährte Mittel wie Omas Hühnersuppe mit Ingwer, heiße Kräutertees, Paracetamol und Inhalieren, um Symptome zu lindern und die Zeit zu überstehen. In diesem Januar half nichts. Gar nichts. Es ging uns elend. Und es ging uns länger elend, als jemals zuvor bei einer Infektion. Und danach ging es nur sehr langsam aufwärts.
Nach einem dennoch schönen vorsichtigen Motorradsommer ging es mit meiner Kraft aber auch schnell wieder abwärts. Weil die Hausärztin einfach gar nichts finden konnte, was Kraftlosigkeit und Schmerzen erklären konnte, ging eine Diagnose-Odyssee los. Nach den Besuchen diverser Fachärzte, die sich über mehrere Monate hin zogen, blieb das Ergebnis das gleiche: Es war keine Ursache zu finden, weder von Rheuma-, Cardio- oder Pneumologen. Ich war müde, frustriert, 15 kg schwerer, ich hatte Schmerzen, die mir niemand erklären konnte, ich hatte keine Energie, und ich war fertig. Meine Hausärztin schickte mich zum Psychiater, der mir eine agitierte Depression attestierte.
Das war ein bisschen lustig, weil ich mich so gar nicht mehr agil empfand. Aber tatsächlich half mir die Therapie, meinen stetig arbeitenden, weiter treibenden, weiter produktiv und kreativ arbeitenden Kopf in Schach zu halten, der immer noch verzweifelt versuchte, meinen Körper vor sich her zu treiben. Mein Körper sagte weiter: Nope.
Nun lebe ich also seit ein paar Jahren mit Schmerz, Erschöpfung, wenig sachdienlichem Übergewicht, und es geht mir mal schlechter, mal besser damit, aber nicht gut. Es gibt Menschen, mit denen ich mich austausche, die ähnliches erleben und verstehen. Es gibt andere, die mein Mindset in Frage stellen, innerer Schweinehund und so. Und es gibt wieder andere, denen es wirklich schlecht geht mit, mit diagnostiziertem Long Covid und inzwischen auch ME/CFS.
Letztere sind in einem Maße hoffnungslos, dass ich aufhören musste, ihre Beiträge in den sozialen Medien zu lesen, um meine eigenen Symptome nicht noch über das Kopfkino zu verstärken. Augenfällig ist, dass es sich auch sehr oft um einst hochaktive, kreative, sportliche, gesund lebende Menschen handelt, die nun kaum noch aus dem Bett hoch kommen. Es ist erschreckend. Und macht Angst.
So, und nun lebe ich seit ein paar Tagen mit einer neuen Corona-Infektion. Ich habe das volle Programm: Atemnot, Husten, Schnupfen, tagsüber verstopfend, nachts fließend, heftige Schweißausbrüche, die Ohren sind dicht, die Temperatur zumindest zeitweilig erhöht. Aber eines ist erstaunlich: Ich fühle mich nicht erschöpft. Nicht SO erschöpft, wie in den letzten Jahren. Ich fühle den Anflug von Energie in meinen Unterarmen. Statt lethargisch auf der Couch zu liegen, wie sonst so oft, schnibbel ich mit grimmiger Freude Gemüse für frische Hühner- und Tomatensuppen. Ich mache Pläne für ein DIY-Gewächshaus aus alten Fenstern. Ich freue mich auf die Freundin, die mich bald besuchen kommt.
So krank ich de facto akut bin, so fühle ich mich das erste mal seit langem auf anderer Ebene – gesund. Als würde mein Körper in dieser Situation einfach mal wieder arbeiten, wie er soll.
Was ist das? Schließt die neue Infektion einen Kreis? Oder aktiviert sie nur zeitweilig ein Energiegedächtnis, weil mein Körper gerade auf Hochtouren gegen das Virus kämpft? Und wenn das so ist – wie kann ich das wieder aktivieren, wenn der COVID-Spuk vorbei ist?
Ich schreibe das auf, um mich daran zu erinnern, wie ich mich jetzt fühle. Und ich werde diesen Bericht fortführen. Und vielleicht geht es anderen ja ähnlich? Oder vielleicht hilft auch jemandem der Austausch? Meldet Euch gern.
Zitate der Ärzt:innen, die mir inzwischen begegnet sind
„Es gibt ja keine gesunden Menschen – nur solche
die bisher zu wenig untersucht wurden.“ehem. Chirurg Ratzeburg
„Dass wir nichts gefunden haben liegt möglicherweise daran,
dass wir noch nicht wissen, was wir suchen.“Rheumatologin Lübeck
„Oh nein, machen Sie doch um Himmels Willen Ihr Handy aus!
Ist ja kein Wunder, dass es Ihnen schlecht geht!11!“Schmerztherapeut Ratzeburg
„Also Frau Schink, das ist ja nun merkwürdig.“
Hausärztin Mölln
„Geben Sie mal weniger Gas.“
Psychiater, Lübeck