Euch die Uhren, uns die Zeit

Roadtrip

Wie fühlt es sich an, ohne Uhr zu leben? Ist Zeit nur ein Konstrukt? Ist es egal, ob wir nach der Sommerzeit oder der Normalzeit leben? Leben Chronotypen nach Uhrzeiten? Seit Urzeiten?

Wenn im Winter die Uhren umgestellt werden auf die sogenannte Normalzeit, ist es für mich ein inneres Ausatmen. Ich fließe in diesen Rhythmus hinein wie Honig in den Milchtopf. Obwohl die dunkle Zeit dann bevorsteht, gibt mir diese Umstellung der Zeit Ruhe und Trost. Als sei dann wieder alles gerade und richtig. Als sei es einfach so, wie es sein soll.

Wenn im Frühjahr die Uhren umgestellt werden auf die sogenannte Sommerzeit, ist es mir ein inneres Luftanhalten. Ich gerate aus dem Tritt. Ich wanke buchstäblich durch die ersten Tage wie durch einen Zeitnebel. Suche Halt und Orientierung. Kneife die Augen zusammen um zu fokussieren. Irgendwann wird es immer etwas besser. Und vielleicht hilft in diesem Jahr der zusätzliche freie Tag am Montag, um besser hinein zu kommen. Ich werde es sehen. Doch der Zustand des Ständig-Fokussieren-Müssens wird anhalten. Wie in jedem Sommer. Bis zur Zeitumstellung im Winter.

Die Normalzeit kommt meinem Tag-Nacht-Rhythmus, mit dem ich mich besser fühle und mit dem ich besser funktioniere, näher. Manche Menschen sagen, ich sei eine Langschläferin. Meine Arbeitszeit beginnt um 9:30 Uhr, weil ich so am besten hineinstarte, selbst in der Sommerzeit. Die Wissenschaft sagt, ich sei mit meinem Schlafrhythmus zwischen 0 und 8, bzw. zwischen 1 und 9 Uhr, total normal. Chronotyp Normaltyp. Aber woher kommt überhaupt dieses „Normal“?

Häufigkeit verschiedener Chronotypen in der (deutschen) Bevölkerung

Quelle: LMU, INSTITUT FÜR MEDIZINISCHE PSYCHOLOGIE, Zentrum für Chronobiologie
Links: Häufigkeit der unterschiedlichen Schlafzeiten (z.B. „0 – 8“ heißt die Person Schläft durchschnittlich von 0 Uhr bis 8 Uhr); Rechts: Schlafmangel bzw. -überschuß an Arbeitstagen im Vergleich zu freien Tagen.

Zeit fühlen

Haben wir Zeit besser gefühlt, bevor wir begonnen haben, sie zu messen? Was würde wohl passieren, wenn wir Uhren einfach abschaffen würden? Nach Gefühl schlafen und wachen, leben und arbeiten würden? Natürlich, Termine könnten nicht präzise eingehalten werden. Chaos wäre in unserem durchgetakteten System das Ergebnis. Aber der einzelne Mensch, befreit von der Messung der Zeit, im Flow des eigenen Taktes. Wie würde sich das wohl anfühlen?

Immer, wenn ich auf dem Hausboot bin, verändert sich mein Takt. Auf dem Wasser lasse ich mich treiben. Kein Termin setzt mich unter Spannung. Ich wache auf, wenn es sich richtig anfühlt. Ich esse, wenn ich Hunger bekomme. Ich mache etwas, werde aktiv, fokussiere, wenn ich bereit dazu bin. Ich füge mich ein, fließe hinein. Und jedesmal passiert es: Ich wache auf, wenn der Tag erwacht. Niemals sonst wache ich einfach um fünf Uhr auf, um den Nebel zu atmen und den ersten Vögeln zu folgen.

Ich werde ruhiger, wenn es dunkel wird. Geschuldet – natürlich – dem frühen Aufstehen. Und dennoch ganz natürlich. Um dem Dunkel zu lauschen, der Nacht zu folgen. Draußen ist es anders dunkel. Ich lausche, bis ich müde werde. So ist es gut.

Was ist Deine Zeit?

Titel entlehnt aus dem Buchtitel des Punk-Bildbands Euch die Uhren, uns die Zeit von Lucja Romanowska.

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