No Trust, no Fun.

Menschen & Me|Roadtrip

Sie sieht so gut aus, wie sie da in der Garage steht. Ihr glänzender schwarzer Lack und alle sichtbaren Teile sind sauber, alles weist auf eine gut gepflegte Maschine hin. Dass sie schon 20 Jahre auf dem Buckel hat, das sieht man ihr nicht an.

Ihre Besitzerin erzählt vom neuen Hund, und von der neuen Wohnung weiter weg, ohne Garage, all den Gründen, warum man ja nicht mehr zum Fahren käme. Die schwerere Maschine ihres Mannes, würde vermutlich auch bald ihren Weg ins Verkaufsportal finden.

Ich lasse meine Finger über das Material gleiten. Über den neuwertigen Topcasehalter  hinunter über den vollkommen rostfreien Auspuff, dessen dezente Wärme meinen Fingerspitzen schmeichelt. Der Sitz sieht neu aus. Vorne an der Verkleidung,  wölbt sich eine kleine unebene Stelle im sonst so tadellosen Lack, der noch nie einen der schreiendbunten Dominator-Aufkleber gesehen haben wird. Im Zwielicht der Garage war diese kleine Lackblase nicht zu sehen gewesen. Ich hatte sie ertastet. „Ist das der Original-Lack?“ frage ich. „Ja,“ sagt die Besitzerin. „Da ist nur mal Bremsflüssigkeit drauf getropft.“

Black Beauty

Ich gehe in die Hocke und schaue mir den Motorblock an, der eine heimelige Wärme ausstrahlt. Er sieht fast aus wie neu. Nur das dünne Profil der Reifen weist darauf hin, dass die Maschine überhaupt jemals bewegt wurde. „Sie ist wirklich wunderschön.“ seufze ich.

Seit fast 20 Jahren sitze ich auf keinem Bock mehr. Nur einen Tag vor meiner Führerscheinprüfung hatte ich damals den positiven Schwangerschaftstest in den Händen gehalten. Nach der Prüfung waren wir nur noch selten gefahren, weil ich zuviel Sorge hatte, dass ich mit dem Kind in meinem Bauch einen Unfall bauen könnte. Später fehlten mal Geld, mal Gelegenheit, und so hatten wir uns von den Karren getrennt.

Jetzt soll es endlich wieder los gehen. Jetzt oder nie.

„Können wir sie mal starten?“ Es regnet in Strömen, eine Probefahrt ist heute einfach nicht drin. Aber hören möchte ich sie. Die Besitzerin schiebt sich an mir vorbei und dreht den Schlüssel. Der Motor heult kurz auf. „Also, das Standgas müsste mal richtig eingestellt werden.“ sagt sie, während der Anlasser hysterisch rödelnd sein Bestes versucht. Nach einigen Anläufen springt sie dann doch an. Ungehalten gibt die Besitzerin weiter Gas und nestelt am Benzinhahn. Der Motor läuft irgendwie unrund.

„Ja, also es ist wohl das Standgas,“ sagt sie wieder. „Das ist nur wenn sie kalt ist. Sie stand ja jetzt wieder eine Woche.“ Ich seufze und gebe selber Gas. Der Motor klingt unwuchtig wie eine zu schwer beladene Waschmaschine im Schleudergang. Ich erinnere mich an das sonore gleichmäßige Klopfen und Rasseln meiner alten Maschine. „Letzte Woche haben wir noch eine Tour gemacht, da war alles in Ordnung.“

Ich bin keine Schrauberin. Dass ein zwanzig Jahre altes Motorrad so seine Macken hat, weiß ich. Meistens kann man sie beheben lassen. Oder damit leben.

Erst letzte Woche haben wir eine BMW gekauft. Fünf Jahre älter, seit 16 Jahren von der Besitzerin gepflegt gefahren. Sie zählte uns all die kleinen Macken auf, auf die wir achten müssten, die wir machen müssten, beschönigte nichts. Doch auch wenn sie von ihrer neuen moderneren Triumph schwärmte, klang das dezente Bedauern über den Abschied von der treuen Funduro leise aus ihrer Stimme. Hier war das irgendwie anders.

Hach, dieser schöne schwarze Lack. Sie sieht perfekt aus. „Okay,“ höre ich mich sagen. „Du bekommst heute noch Bescheid von mir. Und dann kann ich Dir eine Anzahlung  überweisen, zum Beispiel per Paypal?“ Ich werfe noch einen Blick auf das Prachtstück.  „Und dann hole ich sie am Samstag ab.“

„Ja, wunderbar! So machen wir das!“ Wir nicken uns zu, ein Kauf per Handschlag ist in diesen Zeiten nicht drin.

Unter „Freunden“

Nach einem langen Gespräch mit dem Motorradexperten in der Familie, Recherchen und langem Abwägen gebe ich dem „Haben-Will-Impuls“ nach und  frage abends per WhatsApp nach den Überweisungsdaten.

Ich erhalte einen Link zum Paypal-Account ihres Freundes mit einer 900 am Ende. Und dem Hinweis: „Für Freunde, bitte! Sonst kostet es Gebühr!“ Ich zögere. Dann sende ich 924 Euro und schreibe zurück: „Kein Problem, den Käuferschutz übernehme ich selbst.“

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Es ist der nächste Morgen. Schlaftrunken schaue ich aufs Smartphone und entdecke die Benachrichtigung von Paypal, dass der gesamte Betrag zurück geschickt wurde. Ich reibe mir die Augen. Auf dem Weg zur Kaffeemaschine lasse ich die Sprachnachricht ablaufen, die mir von der Besitzerin der Maschine geschickt wurde.

„Du, wundere Dich nicht,“ höre ich ihre Stimme, die eine gewisse Anspannung nicht verbergen kann. „Mein Mann hat den Betrag zurück gebucht, weil Ihr aufgrund des Käuferschutzes jederzeit die Möglichkeit hättet, das Geld wieder zurück zu buchen, ohne einen Grund anzugeben. Da hat er schlechte Erfahrungen mit gemacht, als er eine Waschmaschine verkauft hat. Da war dann die Maschine weg, und das Geld. Da hat man ja gar keine rechtliche Handhabe. Du hast also die Möglichkeit, das Geld jetzt nochmal „Für Freunde“ auf Paypal zu senden, oder ich gebe Dir meine Kontodaten.“

Der letzte Satz klingt unmissverständlich fordernd. Und patzig. Der Kaffee ist durchgelaufen und gedankenverloren lasse ich Milch hinein laufen. Ich nehme einen tiefen Schluck. Dann setze ich die Tasse ab und schreibe: „Unter diesen Umständen möchte ich vom Kauf zurück treten.“

Ich schreibe noch etwas mehr. Ich erkläre, wie das mit dem Käuferschutz bei Paypal funktioniert, dass das Geld nicht einfach zurück gebucht werden kann, sondern bis zu einer Streitschlichtung zwischen Verkäuferin und Käuferin von Paypal eingefroren wird.

Aber eigentlich weiß ich längst, dass ich ihr das nicht erklären müsste. Am Vorabend habe ich ihren Namen gegoogelt, und den, der auf dem Firmenwagen steht. Ihr Freund ist Finanzberater. Sie arbeitet mit ihm zusammen. Ich gehe davon aus, dass beide wissen, wie Paypal funktioniert.

Dieses Kribbeln im Bauch

Ich schreibe ihr dann auch von den vielen kleinen Macken, die mir aufgefallen waren, und die alle nicht ins Gewicht gefallen wären, wenn sie bereits in der Anzeige gestanden hätten. Die abgefahrenen Reifen, das Motorproblem, das sie auf das Standgas zurück führte. Der handwarme Auspuff der Maschine, die sie nach eigenen Angaben eine Woche nicht angemacht hatte. Der Fehler im Lack, den sie erst erklärte, weil ich ihn fand. Der vermeintliche Originalzustand des Lacks, obwohl nie eine Dominator ohne Aufkleber ausgeliefert worden war. Nicht mal von der Drosselung hatte sie vorher etwas gesagt.

Natürlich hätte ich nach all diesen vielen kleinen Hinweisen, von denen jeder für sich nicht der Rede wert gewesen wäre, die in ihrer Summe aber bereits für ein kleines nachdrückliches Bauchzwacken gesorgt hatten; natürlich hätte ich auch schon am Vorabend diese Entscheidung treffen können.

Aber diese Maschine war einfach so schön. Sie hätte perfekt für mich sein können. Ich wollte, dass sie perfekt für mich ist.

„Aber, aber, aber…!“

Aber nun weiß ich, dass ich mit dieser Maschine nicht mehr glücklich werden würde. Bei jedem Fehler, den ich bei einer zwanzig Jahre alten Maschine noch unweigerlich entdecken würde, würde ich das Gefühl haben, über den Tisch gezogen worden zu sein.

Ich möchte wissen, worauf ich mich einlasse. Ich möchte darauf vertrauen können, dass mir jemand mit bestem Wissen und Gewissen seine Maschine verkauft. Ich habe kein Problem mit Macken und Fehlern, wenn ich von ihnen weiß und mich auf sie einlassen kann.

WhatsAppIch bekomme noch eine WhatsApp. Sie bestätigt, dass meine Entscheidung richtig war. Mit keinem Wort geht die Verkäuferin auf meine Ausführungen ein, sondern versucht den Deal noch zu retten.

Sorry. But no.

Nachtrag: Wie man es noch schlimmer machen kann

Edit 15:15 Uhr: Oh, die Geschichte geht weiter. Das Smartphone klingelt. Eine fremde Nummer wird angezeigt. Ich gehe dran.

„Ja, hallo! Hier ist der Freund von der Domi-Besitzerin. Ich glaube, ich muss da was gerade bügeln!“ Wortgewandt und wortreich erläutert mir der smarte Partner, dass das ja alles nur ein Missverständnis sei. Ich höre stumm zu, während er geübt charmant alles noch ein itzibitzikleines bisschen schlimmer macht. „Du musst das verstehen, ich hab schlechte Erfahrungen gemacht! Das musst Du überhaupt nicht auf Dich beziehen. Meine Freundin hat erzählt, dass Ihr total lieb und nett gewesen seid. Und jetzt ist sie total sauer auf mich, weil ich so misstrauisch bin. Darf ich mich bei Dir entschuldigen?“

„Mhm,“ mache ich. „Was hast Du denn für schlechte Erfahrungen mit dem Paypal Käuferschutz gemacht?“

„Ja, ach, also das war sehr unangenehm, da hab ich eine Handy über eBay verkauft…“ „Keine Waschmaschine?“ werfe ich ein. „Nein, ein Handy!“ redet er weiter. „Und dann war angeblich was mit dem Handy nicht in Ordnung, und dann hat der Käufer einfach das Geld zurück gebucht. Und er hat es nicht zurück geschickt! Das war sehr unangenehm und musste dann auch rechtlich geklärt werden…“ „Mhm.“ mache ich. „…und da ging es ja auch nur um ein paar Euro, und jetzt geht es ja um die Maschine, und da wollen wir dann nicht nachher Probleme bekommen, weil Ihr das Geld zurück holt.“

„Mhm,“ mache ich. „Aber Du weißt schon, wie der Paypal-Käuferschutz funktioniert? Wenn jemand das Geld zurück bucht, wird es bis zu einer Schlichtung und Einigung eingefroren. Das ist für beide Seiten gut. Wenn ich Dir das Geld ‚für Freunde‘ schicke, könnt Ihr die Maschine auch einfach an jemand anderem verkaufen, bevor wir sie abgeholt haben. Und Du bist nicht mal mein Vertragspartner, sondern Deine Freundin. Wir als Käufer müssten also Euch vertrauen. Aber wir kennen uns nicht, und so wie Ihr als Verkäufer uns nicht traut, ist es umgekehrt genau so.“

„Ja, aber das haben wir ja jetzt geklärt, nicht wahr?“ Seine Stimme klingt immer noch geschult gewinnend. „Also holt doch einfach morgen die Maschine ab, und dann könnt Ihr meiner Freundin gleich den ganzen Betrag per Paypal schicken. Und dann eben ‚für Freunde‘.“

Ehrlich, ich weiß nicht, ob die beiden wirklich so naiv und ahnungslos und beratungsresistent sind, oder mich einfach nur für dumm verkaufen.

Aber nein, diese Domi kauf ich nicht.

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