Ehrlich gesagt dachte ich, ich sehe nicht richtig. Die einst sehr von mir geschätzte Rhein-Zeitung, eine Lokalzeitung aus dem nördlichen Rheinland-Pfalz, präsentiert in ihrem Instagram-Kanal ein Video, in dem ein junger Wolf zu sehen ist. Dieses Video ist fraglos interessant. Einen Wolf in freier Wildbahn tagsüber aus dieser Nähe zu sehen, das passiert nicht alle Tage.
Erschüttert hat mich aber die begleitende Berichterstattung, insbesondere die Auswahl der zitierten „Experten“, die leider wieder einmal ein Beispiel dafür ist, dass Qualitätsjournalismus von zu vielen Journalist:innen nicht mehr angestrebt wird. Aber der Reihe nach.
Die Berichterstattung über Wölfe ist für Medien immer ebenso bereichernd wie heikel, denn das Thema „Wolf“ ist nicht zuletzt wegen unserer Sozialisierung durch Märchen über den „bösen Wolf“ emotional aufgeladen und von Ängsten begleitet. Deshalb sind Beiträge über einen herumstreifenden Wolf, der scheinbar keine Scheu zeigt, für viele Menschen ebenso faszinierend wie beängstigend – und für ein Medium deshalb auch immer ein Garant für mannigfache Aufmerksamkeit.
Das Video des Wolfs, das der Rhein-Zeitung von einem Klidinger Bürger zur Verfügung gestellt wurde, ist wirklich interessant und natürlich ist es ein Thema, das von einer Lokal-Zeitung aufgegriffen werden muss. Die Redakteurin hat sich durchaus bemüht, die Wolfssichtung nicht für Panikmache zu nutzen und ein eher positives Bild der Situation zu zeichnen. Zudem versuchte sie eine Einordnung des scheinbar ungewöhnlichen Verhaltens des Wolfes durch Experten zu erhalten. Und nun kommt der Teil, der mir völlig unverständlich ist: Die zitierten Experten sind keine.
Mit Zitaten versehene Video-Version
der Rhein-Zeitung
So wird der von der RZ-Redakteurin zurate gezogene Vorsitzende der Kreisgruppe des Landesjagdverbandes Rheinland-Pfalz, Franz-Josef Becker, im Artikel zitiert: „Dass der Wolf so nah an das Auto gekommen ist, ist alles andere als normal und nicht gewöhnlich.“ Auch die Tageszeit, zu der er sich offen auf einem Feld präsentiert hat, sei vollkommen untypisches Verhalten.
Ich verstehe nicht, warum die Redakteurin es naheliegend fand, ausgerechnet einen Jäger zum Verhalten eines Wolfes zu befragen. Abgesehen davon, dass Jäger selten eine Ausbildung in der Verhaltensforschung von Wölfen haben, sind sie naturgemäß Interessensvertreter für jagdliche Belange. Sie betrachten Wölfe durch die Linse der Wildnutzung und sehen sie als Bedrohung für Ihren Jagdbestand an.
Auch den Bürgermeister der von Kliding 24 Kilometer entfernten Verbandsgemeinde (VG) Kaisersesch, Albert Jung, hat die RZ-Redakteurin zu Wort kommen lassen: „Laut VG-Chef Jung ist es ein einzelnes Tier, das umherzieht: ,Es sieht wölfisch aus, vermutlich ist es aber ein Hybrid.‘ Das schließe er aus dem Aussehen des Tiers. Begeistert ist Jung darüber nicht: ,Wenn sich Hybride mit echten Wölfen mischen, dann ist auch dem Tier nicht geholfen. Der Tierart tut man damit jedenfalls keinen Gefallen.“‘
Was diesen Bürgermeister eines Nachbarorts dazu befähigen soll, eine solche Aussage zu treffen, wird nicht erklärt. Was ihn dazu veranlasst hat, sich überhaupt ernsthaft dazu zu äußern und dann noch eine solche These aufzustellen, dass dieser junge Wolf ein Hybrid sein soll, auch nicht.
Die Wahrscheinlichkeit, dass diese bemühten „Experten“ falsch liegen, ist jedenfalls sehr hoch, nicht zuletzt weil Hybride sehr selten sind.
Nach Rücksprache mit einer ausgewiesenen Wolfsexpertin, Autorin und Wildhüterin, Tanja Askani vom Wildpark Lüneburger Heide, die seit Jahrzehnten mit Wölfen arbeitet und Wolfswaisen aufzieht, kann ich Entwarnung geben: Das Verhalten ist für einen jungen Wolf auf der Durchreise völlig normal. Und es handelt sich mit sehr großer Sicherheit nicht um einen Wolfshybriden.
Der Wolfsmeister
Natürlich hätte sich die RZ-Redakteurin ebenso um eine Aussage eines Menschen bemühen können, der den enstprechenden Wissenshintergrund hat. Genau das habe ich deshalb unter dem Instagram-Beitrag der Rhein-Zeitung angemerkt. Die um gute Kommunikation bemühte, aber nicht im mindesten einsichtige Social-Media-Redaktion der Rhein-Zeitung hat aber jegliche Kritik abgetan und unter anderem erklärt, dass der Bürgermeister sich in der Vergangenheit schon mal mit Wölfen beschäftigt habe. Ich hab mal recherchiert: Möglicherweise könnte er in der Koblenzer Redaktion als „Experte“ gelten, weil er der 2. Vorsitzende der Bürgerinitiative „Wolfsfreie Dörfer in Eifel und Hunsrück ist“ ist. Nun denn.
Ist es verständlich, dass ich an dieser Stelle irritiert nachgehakt habe? Gerade bei einem solch sensiblen Thema, bei dem die Gemüter immer wieder hochkochen, ist doch wohl das Mindestmaß an journalistischer Sorgfaltspflicht geboten. Und nein, das ist nicht zuviel verlangt. Das ist, was wir vom Journalismus erwarten können. Sogar erwarten müssen.
Tatsächlich erhielt ich eine Antwort aus der Redaktion die deutlich machen sollte, dass die jounalistische Sorgfaltspflicht selbstverständlich gewart wurde. Dass man aber keine Experten befragen könne, die nicht aus dem Verbreitungsgebiet der Rhein-Zeitung kämen. Ich konnte noch darauf hinweisen, dass das Verbreitungsgebiet der Rhein-Zeitung sich vor etwa 30 Jahren dank des Internets deutlich erweitert habe, und es doch deshalb auch möglich sein könnte, echte Experten, notfalls jenseits der Kreisgrenzen, zu finden.
Kritik an handwerklichen Mängeln: Unerwünscht
Leider kann ich den genauen Wortlaut aber nicht mehr wiedergeben. Die Social-Media-Redaktion der Rhein-Zeitung hat mich auf Instagram gesperrt. Und außerdem die Kommentarfunktion unter dem Beitrag deaktiviert, so dass auch bisherige Konversationen – und ich war nicht die einzige kritische Stimme – ausgeblendet wurden.
Unter dem Beitrag steht nun folgendes Statement:
„ANMERKUNG der RZ-Digitalredaktion:
Liebe Community,
wir haben uns dazu entschieden, die Kommentarfunktion zu deaktivieren, da ein konstruktiver Austausch nicht möglich gewesen ist.
Der Beitrag suggeriert weder, dass der Wolf jemanden angreifen wird oder gefährlich ist noch dass sich der Landesjagdverband – sprich die Jäger – für den Abschuss des Tieres ausspricht.
Diese Unterstellungen entsprechen nicht der Wahrheit.
Bei dem Video, das wir zur Verfügung gestellt bekommen haben, handelt es sich um eine einzigartige Aufnahme, die zeigt, wie entspannt das Tier am chillen ist.
Das Kluwo, das für Wolfssichtungen zuständig ist, ist über die Sichtung informiert. Das Koordinationszentrum untersteht der Obersten Naturschutzbehörde Rheinland-Pfalz und arbeitet eng mit Landesforsten zusammen.“
Soweit ich noch mitlesen konnte, hatte niemand in den Kommentaren unterstellt, der Jagdverband würde sich für einen Abschuss aussprechen – auch wenn Besorgnis geäußert wurde, dass es passieren könnte. But well. Dies ist kein Umgang mit sachlicher Kritik, die zwar durchaus scharf war, aber konstruktiv.
Es geht nicht um den Wolf.
Es geht um professionelle Einordnung und Aufklärung.
Ich fasse mal zusammen, warum ich diese Art von Berichterstattung und „Experten“-Gehabe für kritisch und journalistisch nicht tragbar halte:
- Seriosität und Glaubwürdigkeit
Weder Jäger noch Bürgermeister sind in der Regel Fachleute für Wolfsethologie oder Wolfspopulationen und sollten deshalb auch nicht random zum Verhalten von Wölfen befragt werden. Und Jäger und Bürgermeister, die irrtümlicherweise dazu befragt werden, sollten zukünftig bitte darauf hinweisen, dass das nicht ihr Fachgebiet ist und auf wirkliche Expert:innen verweisen, zum Beispiel von der DBBW – Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf, oder Dr. Carsten Nowack vom Team Naturschutzgenetik vom Senckenberg Forschungsinstitut, oder das Team vom Wolfspark Werner Freund in Merzig – oder eben Tanja Askani in der Lüneburger Heide.
Merke: Nicht jede Anfrage muss von jedem auch beantwortet werden.
2. Aufklärung. Aufklärung. Aufklärung.
Gerade bei einem Thema wie Wölfen, das emotional stark aufgeladen ist, verlangt die journalistische Verantwortung, angstentlastende und sachliche Informationen mitzuliefern.
Im Artikel fehlen unter anderem Erklärungen zu typischem Wolfsverhalten, zum Beispiel
- dass Wölfe keine Aggressionen gegenüber Menschen zeigen, ihnen aber in der Regel aus dem Weg gehen.
- Oder dass junge, wandernde Wölfe oft neugierig und sich von Menschen in Autos eben nicht bedroht fühlen. Wäre jemand ausgestiegen, wäre der Jungspund sicher sehr schnell verschwunden.
- Oder dass Tagesaktivität bei wandernden Jungwölfen normal und kein Anzeichen von Gefährlichkeit oder Tollwut ist.
3. Prüfung und Einordnung einzelner Aussagen
Seriöse Berichterstattung hätte auch einzelne Aussagen beleuchten und einordnen müssen. Zum Beispiel ist die Mutmaßung über den Hybrid eine unhaltbare Spekulation ohne jede Fachgrundlage. Die Redakteurin hätte diesen Satz entweder nicht unkommentiert veröffentlichen oder klar relativieren müssen.
Oder eben gleich jemanden fragen müssen, der Ahnung vom Fach hat.
Schade.
Abschließend sei gesagt, dass es enttäuschend ist, dass gerade eine Medienmarke, die einst als leuchtendes Vorbild in Sachen Internet und Digitalisierung galt, keine Mitarbeiter mehr zu haben scheint, die in der Lage sind, über die Grenzen des analogen Verbreitungsgebietes hinaus zu recherchieren. Und dass kritische Stimmen lieber ausgeblendet und ignoriert werden, statt sich professionell mit der Kritik auseinanderzusetzen. Und so verkommt Journalismus weiterhin zum Unterhaltungsmedium ohne inhaltlichen Mehrwert für Menschen, die sich Medien wünschen, auf die sie sich inhaltlich, fachlich und faktisch verlassen können.
Schade.
Transparenzhinweis
Seit 2009 besuche ich immer wieder die Wildhüterin Tanja Askani und ihre Wolfsrudel im Wildpark Lüneburger Heide. Dank ihrer unermüdliche Aufklärungsarbeit bei Wolfsführungen, Vorträgen und in ihren Büchern hat sie vielen Menschen das Wesen der Wölfe nähergebracht, versucht unermüdlich Mythen und Missverständnisse aus dem Weg zu räumen und gibt Auskunft über das Verhalten der Wildtiere. Ich habe viel von ihr gelernt. Dennoch würde ich mir nie anmaßen, Presseanfragen über Wölfe zu beantworten, sondern verweise immer auf sie oder andere Expert:innen.
Ich habe einen journalistischen Hintergrund und elf Jahre als Fotoreporterin, Journalistin, Community Managerin und Projektleiterin für verschiedene Publikationen und Verlage gearbeitet.

Begegnung mit Noran, 2012
Fotos mit Polarwölfen: Tanja Askani