Mein liebster Feind, Teil 1 – Geschichten mit Björn. Intro.

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Es begab sich einst im letzten Jahrtausend, in einer Zeit vor dem Internet und Smartphones, da zog ich als junges Mädel mit meiner Kamera in eine neue Weltgeschichte und erlebte Abenteuer Sandra Schink (Dick) 1991 Leipzigin einem fremden Land, das doch irgendwie nun auch zu meiner Heimat gehören sollte.
In diesem Land begegnete ich allerlei illustren, spannenden, interessanten, wunderbaren und auch beängstigenden und verstörenden Gestalten, die mein junges Leben als Nachwuchsfotografin auf die eine oder andere Art geprägt haben. Einer dieser verstörenden Gestalten möchte ich diese kleine Beitragsserie widmen. 

Zum Einen deshalb: Aus heutiger Sicht sind es unterhaltsame Geschichten, die noch ein wenig mehr erzählen, als über meine seltsame Begegnung mit diesem seltsamen Menschen. Über die Zeit damals, kurz nach der Wende, über das patriarchale Gehabe damals, über Kommunikation und Kommunikationstechnik, über die Orte wo diese Geschichten spielten. An denen möchte ich Euch gern Teil haben lassen.

Zum Anderen darum: Diese verstörende Gestalt ist nun, nach fast 30 Jahren, wieder aufgetaucht. Das Internet macht es möglich. Und drollig ist, dass sie sich überhaupt nicht daran erinnern kann, was sie damals alles mit mir angestellt hat. Und warum. Und überhaupt nicht verstehen kann, warum ich keine gute Meinung von ihr habe. Und auch nicht, warum ich mich nicht gern an unsere Zusammenarbeit zurück erinnere.

Deshalb dachte ich, ich helfe diesem Gedächtnis mal auf die Sprünge. Weil, wie gesagt, aus heutiger Sicht ist das alles schon unterhaltsam. Und ein wenig unglaublich. Aber auch, wenn ich an der einen oder anderen Stelle sicher etwas verdichten und zuspitzen muss, so dürft Ihr Euch gewiss sein: Es ist alles so geschehen, wie es geschrieben stehen wird.

Um wen es geht?

Nun, es geht wohl in erster Linie um mich, denn offenkundig hat diese Begegnung bei mir den größeren bleibenden Eindruck hinterlassen, als bei ihm.

Ihn nenne ich hier mal Björn. Das ist nicht sein richtiger Name. Denn dass er sich so gar nicht erinnern kann, das mag vielleicht auch daran liegen, dass er sich so gar nicht erinnern will. So richtig nett war er ja damals nicht. Und wer erinnert sich schon gern im gütigen Opa-Alter daran, dass er irgendwann mal in seinem Leben zu einem jungen Menschen nicht so richtig nett gewesen ist? Eben.

Und weil es mir nicht darum geht, einen Rentner hier nach seinem Wirken in der Fotobude, post laborem sozusagen, in die Pfanne zu hauen, wohl aber darum, diese Geschichten zu erzählen, die zum Teil auch aus Hörensagen gespickt werden, darum nenne ich ihn eben einfach Björn.

Wer ist Björn?

Wer jemals Wallraffs „Der Aufmacher“ gelesen hat, sieht den skrupellosen hartnäckigen Boulevard-Reporter, den Witwenschüttler und Paparazzo, den Demo-Fotografen, der den ersten Stein schmeißt, damit was passiert, doch ziemlich treffend in Björn verkörpert. Alte Schule, sozusagen. Es ging das Gerücht, dass Björn in seinem Mercedes-Kombi immer eine Kiste mit allerlei Kleidungsstücken dabei hatte, die ihm bei Bedarf halfen Zutritt zu Räumen zu erhalten, wo dieser eigentlich verboten war.

So soll er seine Kamera einmal unter einem Arztkittel verborgen haben, um einen Bundesliga-Spieler in seinem Krankenzimmer in einer Klinik „abschießen“ zu können. Ja, das hieß so: Abschießen. Das bedeutete: Ein Foto von einer Person zu machen, die entweder gar nicht, oder nicht an einem bestimmten (privaten) Ort, oder nicht mit einer bestimmten Person abgelichtet werden wollte.

Auch eine Feuerwehrjacke und sogar ein Polizeiausweis sollen sich in dieser Kiste befunden haben. Und der Polizeifunk war obligatorisch. Eben alles, was man sich vorstellen kann, was der professionelle Paparazzo so braucht.

Björn war schon sehr lange bei diesem Verlag, als wir uns das erste mal begegneten. Vermutlich etwa so lange, wie ich damals alt war. Und dass sein Ruf ihm auf vielen Ebenen voraus eilte, das wusste ich damals noch nicht.

Neue Stadt, zwei Wochen Traumjob

In meinen ersten beiden Wochen in der neuen Redaktion fiel nicht einmal sein Name. Ein Kollege hatte mich gerade aus einer anderen Stadt geholt, und nun arbeitete ich als „feste Freie“ in einem jungen bunten Team, mit einem tollen Redaktionsleiter, und alle wollten in dieser besonderen Zeit etwas bewegen. Es war eine gute Redaktion. Zwei Wochen lang groovte ich mich mit den Kollegen ein, freute mich über spannende Aufträge und die ersten Aufmacherfotos.

Dann kam Björn.

Eines Morgens, es muss ein Montag gewesen sein, kam ich wieder in die Fotobude, wuchtete meine Fototasche auf meinen Schreibtisch und rief ein gut gelauntes „Morgeeen!“ in die Runde, da saß er da. Tief sonnengebräunt, das Brusthaar aus dem Hawaiihemdchen quellend, Goldkettchen, dicke Armbanduhr. Und entgeisterter Gesichtsausdruck. Mit dem starrte er mich an.

Ich erinnere mich an einen Moment der absoluten Stille in der Fotobude. Und daran, dass der andere Kollege, der zu dieser frühen Stunde schon da war, versuchte sich aus dem Raum zu stehlen. Bis die dünnen Stellwände mit den großen Fensterscheiben, die die Fotobude vom Rest des Großraumbüros trennten, unter einem unartikulierten Wutgebrüll erzitterten! „ERHAAARD!! WAS ist DAS!!!!“

Kollege Erhard (der natürlich auch nicht Erhard hieß), bleib unvermittelt stehen, ich zuckte zusammen und sah mich von einem wütend ausgestreckten sonnengebräunten Zeigefinger bedroht, der so unmissverständlich in meine Richtung zeigte, als wolle er mich damit aufspießen. Erhard räusperte sich und krächzte: „Unsere neue Fotografin.“ Dann sprang er mit einem Satz aus der Tür.

Frauen können nicht fotografieren!!!!

Sprachlos und verstört nahm ich zur Kenntnis, dass Björn unter seinem Sonnenteint puterrot wurde und die Adern an seinem Hals hervortraten. Dann sprang er auf und verließ fluchend den Raum. Durch das Fenster zum Großraumbüro sah ich ihm hinterher, wie er in Richtung des Redaktionsleiterbüros verschwand. Dann hörte ich eine Tür knallen. Ich blieb erschrocken und ratlos zurück.

Ehrlich gesagt weiß ich bis heute nicht genau, was genau Björn so erzürnt hatte. Aber vordergründig ging es wohl darum, dass ich ihm einfach – also ihm, dem Fotochef – vorgesetzt worden war. Während seines Urlaubs hinterrücks eingeschleust, sozusagen.

Einen weiteren Grund offenbarte er kurz darauf ganz unverblümt selbst. Nach wenigen Minuten kehrte er damals zurück in die Fotobude und ranzte mich mit immer noch hochrotem Gesicht an, ich solle es mir hier nicht zu gemütlich machen. „Damit das klar ist: Von MIR bekommst DU keine Aufträge. Ich hab hier schon eine Quotentussi (Anm.: Er meinte eine ältere einheimische Fotografin), und mehr ist hier nicht. Frauen KÖNNEN nicht fotografieren. Die können nicht mal kochen.“

An dieser Stelle muss ich anmerken: Hier überspitze ich nicht. Und wenn Ihr Euch darüber wundert, warum dieser Geselle nicht sofort achtkantig vor die Tür gesetzt worden ist ob seines Benehmens: Das war halt damals so, in diesem Verlag. Ein anderer Kollege sagte dazu einmal: „Hier musst Du Dich eigentlich nur richtig schlecht benehmen. Dann kommst Du weiter.“

Fortsetzung folgte

Nun, das war sie also, meine erste Begegnung mit Björn. Und soviel kann ich Euch schon verraten: Es wurde alles noch viel schlimmer. Aber dazu dann später in weiteren Kapiteln.

Weiter mit Teil 2: Die andere Perspektive

Kapitelübersicht

Teil 1: Intro – Geschichten mit Björn
Teil 2: Die andere Perspektive
Teil 3: Der Aufzug, oder: Warum kannst Du telefonieren?!
Teil 4: Spring doch!
Teil 5: So wird das gemacht! Bang! Bang!!
Teil 6: Der Abschuss
Teil 7: Der Abschluss

Teil 8: Nachklapp

 

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